top of page

Obdachlos (Sandler)

Jeden Tag fällt das Morgenlicht durch die kleine Scheibe der Eingangstür eines mächtigen Mausoleums. Versteckt zwischen Bäumen und Sträuchern liegt dieses Grabmal auf dem Wiener Zentralfriedhof – ein idealer Zufluchtsort für jemanden, der der Gesellschaft den Rücken gekehrt hat. Oft treibt ein Schicksalsschlag solche Menschen aus der Bahn, bis sie alles verlieren, was sie einst besaßen. Zu Unrecht begegnet man ihnen häufig mit Verachtung, nennt sie faul oder nichtsnutzig. Die Wiener sprachen früher im Volksmund von "Sandlern".

Hinter diesen Menschen stecken oft unglaubliche Geschichten, die kaum zu fassen sind – so wie die von Eddy. Er führte ein glückliches, erfülltes Leben und genoss jeden Moment mit seiner Frau Ida. Doch dann traf ihn das Schicksal wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Eine schwere Krankheit legte einen dunklen Schatten über sein Leben. Sie begann schleichend, mit anhaltenden Kopfschmerzen und ständiger Müdigkeit. Trotz unermüdlicher Anstrengungen, zahlloser Krankenhausbesuche und einer Flut von Medikamenten schwand auch der letzte Hoffnungsschimmer. Nichts konnte sein Leiden lindern.

Der Hausarzt war entsetzt, als er sah, wie rasch sich Eddys Zustand verschlechterte. Er konnte nicht anders, als die Schwere der Lage zu erkennen und ihn sofort ins Krankenhaus zu schicken. Eddys Kampf mit dieser rätselhaften Krankheit kostete ihn nicht nur seinen Arbeitsplatz, sondern veränderte sein Leben grundlegend. Er brach auch den Kontakt zu einigen seiner engsten Freunde ab. In dieser schweren Zeit wich Ida nicht von seiner Seite. Sie unterstützte ihren Mann unermüdlich und spendete ihm Trost – Tag für Tag.
Sie tat alles, um ihm beizustehen, und sorgte dafür, dass er sich nie allein fühlte. Eddy schätzte Idas Liebe und Fürsorge und fragte sich oft, womit er das Glück verdient hatte, so eine Frau an seiner Seite zu wissen. Jeden Morgen besuchte sie ihn vor der Arbeit, jeden Abend kam sie noch einmal vorbei, damit sie so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen konnten. Doch nach Wochen im Krankenhaus, ohne dass sich sein Zustand besserte, änderte sich etwas. Idas Besuche wurden seltener, und jedes Mal, wenn sie nicht kam, hatte sie eine neue Ausrede:

 

„Ich musste länger arbeiten“, „Die Hausarbeit wartet“ – und so weiter.

Eddy begriff zunächst, dass sie unter großem Druck stand. Sie war nun die einzige, die die Familie versorgte. Doch er ahnte, dass mehr dahinter steckte. Er merkte, wie sich seine Frau von ihm entfernte. Bei jedem Besuch küsste sie ihn nur noch auf die Stirn, nicht mehr auf die Lippen. Er ließ es geschehen und sprach sie nicht darauf an.

Mit jedem Tag schien ihr Interesse an seinem Befinden weiter zu schwinden. Es schmerzte ihn, doch tief in seinem Inneren verstand er ihr Verhalten. Es musste schwer sein, mit einem kranken Partner zu leben. Er akzeptierte ihre seltenen Besuche und ihre Gleichgültigkeit. Wären die Rollen vertauscht, hätte er sich vielleicht auch ein Stück von ihr entfernt. Die Situation war zweifellos alles andere als leicht.

Eines Tages erfuhr Eddy, dass Ida ihm etwas verschwieg. Seine Schwester Hedi, mit der er ein enges Verhältnis hatte, brachte beunruhigende Neuigkeiten. Sie war unangemeldet zu ihm und Ida nach Hause gekommen, um sich nach Eddys Gesundheit zu erkundigen. Dabei überraschte sie Ida mit einem anderen Mann. Eddy konnte es nicht fassen und wollte sofort zu Ida gehen. Doch seine Krankheit ließ es nicht zu, er musste liegen bleiben. Er fühlte starke Verzweiflung und Herzschmerz, als er die Nachricht hörte.
Seine Gefühle überwältigten ihn, und er konnte die Tränen nicht zurückhalten. In diesem Moment blieb ihm nichts anderes, um seinen Schmerz zu lindern. Er war unfähig, Ida mit ihrem Verhalten zu konfrontieren, und suchte vergeblich Zuflucht in seiner Gutmütigkeit, um der inneren Unruhe zu entkommen. Doch die Realität holte ihn ein. Die Wände des Krankenhauses umschlossen ihn, während seine Gedanken ihn gefangen hielten – erfüllt von tiefer Verzweiflung.

Nach Hedis Besuch verschwand Eddy heimtückisch aus Idas Leben. Ida hoffte insgeheim, Hedi würde ihrem Bruder nichts verraten. Sie glaubte, Hedi würde das Geheimnis bewahren, um ihn nicht zu verletzen. In seinem ohnehin schon elenden Zustand wollte sie ihm keine zusätzliche Last aufbürden. Doch er hatte längst begonnen, die schockierenden Ereignisse zu verarbeiten. Der Gedanke, dass sie sich mit ihrem Geliebten in dem Haus vergnügt hatte, das er einst gebaut hatte, quälte ihn umso mehr. Eddy erwartete, während seines Krankenhausaufenthalts einen Scheidungsbrief zu erhalten, doch der blieb aus. Diese Ungewissheit stürzte ihn in Verwirrung und tiefe Unsicherheit.

Eddys Gesundheit wurde von Tag zu Tag schlechter. Ohne seine geliebte Ehefrau, die Liebe seines Lebens, fehlte ihm jeder Antrieb, durchzuhalten. Hedi, seine Schwester, versuchte alles, um ihn aufzumuntern. Doch in seinen Augen erkannte sie nur Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit, denn für Eddy schien ein Leben ohne Ida sinnlos.

Nach etwa zehn Wochen im Krankenhaus blieb Eddy nur noch die Hospizpflege. Es schien, als blieben ihm nur wenige Tage. Diese Erkenntnis lastete schwer auf ihm und überschattete seine verbleibende Zeit. Das Hospizteam arbeitete unermüdlich, um Eddys Schmerzen zu lindern und ihm Fürsorge und Mitgefühl zu schenken. Trotz der Traurigkeit fand Eddy Trost in der Nähe seiner Schwester und ihrer unerschütterlichen Unterstützung.

Jeder vergangene Tag wurde zur eindringlichen Mahnung, wie kostbar das Leben ist und wie wichtig es ist, jeden Moment zu schätzen. Eddy und Hedi wuchsen enger zusammen, während sie die schwierige Lage bewältigten. Hedi, von Kummer überwältigt, wollte Ida zur Rede stellen. Für sie trug Ida die Schuld an Eddys rapide schwindender Gesundheit. Getrieben von Enttäuschung fuhr sie zum Haus ihres Bruders, klopfte an die Tür und brach in Tränen aus. Schluchzend schrie sie Ida an und schilderte Eddys Zustand. Ida, sichtlich erschüttert von Hedis plötzlichem Ausbruch, versuchte sie zu beruhigen – vergeblich.

Im Gegenteil: Hedi schleuderte ihr die Rechnung für die Hospizpflege ins Gesicht und verlangte, sie solle für das büßen, was sie ihm angetan habe. Doch Hedi ahnte nicht, dass Ida längst einen hinterhältigen Plan geschmiedet hatte. Als sie erfuhr, dass Eddy im Sterben lag, überschlugen sich ihre Gedanken. Darauf hatte sie gewartet, seit sie ihren neuen Freund Emil kennengelernt hatte. Nun war der Moment gekommen, den Plan in die Tat umzusetzen. Sie wusste, sie musste das Erbe und die Lebensversicherung sichern, solange sie noch rechtmäßig mit Eddy verheiratet war. Als sich Eddys Zustand weiter verschlechterte, überredete sie ihn, ein Dokument zu unterschreiben. Er glaubte, es sei die Zustimmung für den Krankenhausaufenthalt. Doch in Wahrheit setzte er damit eine von Ida entworfene Änderung seines Testaments in Kraft, die sie zur Alleinerbin machte.

Ida stand kurz davor, ihren lang ersehnten Traum zu erfüllen. Nur wenige Tage trennten sie noch von dem Leben, nachdem sie sich so sehr gesehnt hatte. Seltsam war, dass sie weder Schuld noch Reue empfand – und erst recht nichts davon zeigte. Im Gegenteil: Sie vertraute ihrem Geliebten sogar ihren boshaften Plan an. Zu ihrer Überraschung reagierte Emil mit überschwänglicher Begeisterung. Er übertraf sie an Bosheit und Gemeinheit und wartete nun mit gierigen Blicken auf den Tag, an dem Ida die Erbschaft antreten würde.

Sie passten, gelinde gesagt, perfekt zueinander. Der neu entdeckte Reichtum entfachte in beiden höchste Aufregung und Vorfreude. Sie malten sich eine Zukunft voller finanzieller Sicherheit aus, die ihre tiefsten Wünsche beflügelte. Mit jedem Tag wuchs ihre gespannte Erwartung und stärkte ihren Willen, den Plan zu verwirklichen.

Ein Monat war vergangen, seit Hedi weinend vor ihrer Tür stand, und Ida verlor die Geduld. Sie hatte erwartet, längst einen Nachruf zu erhalten, doch er blieb aus. Also vermutete sie, Hedi stecke dahinter. Wahrscheinlich hatte Hedi Eddys Testament entdeckt und war wütend geworden. So stellte Ida es sich jedenfalls vor. Mit einem selbstgefälligen Lächeln dachte sie daran, wie Hedi wohl reagiert hatte, als sie erfuhr, dass sie keinen Cent erben würde. Von ihrer eigenen Überheblichkeit beflügelt, beschloss Ida spontan, Hedi aufzusuchen. Sie wollte ihren Triumph auskosten und zugleich nach dem Nachruf fragen. Doch als sie ankam, war Hedi nicht da. Stattdessen fiel Ida ein seltsamer Anblick ins Auge, der ihre Neugier weckte.
In der Einfahrt stand ein Auto, das Ida sofort erkannte: Eddys Wagen! Seine unerwartete Anwesenheit verwirrte sie zutiefst und ließ sie mit einem Wirrwarr an Fragen zurück. Wütend und außer sich sprach sie ihre Gedanken laut aus.

 

„Hat Hedi den Tod ihres Bruders vor mir verheimlicht? Und dann auch noch Eddys Auto mitgenommen! Das ist wohl ihre Art, sich an mir zu rächen, weil ich sie aus dem Testament gestrichen habe. “
 

Ida war klar, dass Hedi ihr den Weg zum Erbe nicht leicht machen würde. Also handelte sie sofort. Sie rief den Notar an, bei dem das Testament hinterlegt war, und vereinbarte ein Treffen. Zwar wusste sie, dass Hedi nichts mehr ändern konnte, da das Testament endgültig war, doch sie wollte auf Nummer sicher gehen.
Der Notar bat sie, alle wichtigen Dokumente zusammenzutragen: die Sterbeurkunde ihres Mannes, die Versicherungspolicen und Ähnliches. Genau das tat sie. Sie rief Eddys Versicherungsgesellschaft an. Dort zögerte man, ihr die Unterlagen auszuhändigen, was Ida merkwürdig fand. Sie vermutete, Hedi hatte nicht nur ihr nichts vom Tod ihres Bruders erzählt.

Als Ida schließlich alle Dokumente beisammen hatte, prüfte sie sie und bemerkte, dass eines fehlte: Eddys Sterbeurkunde. Sie wusste sicher, dass er gestorben war, denn sie hatte im Hospiz angerufen, wo er zuletzt gewesen war. Dort teilte man ihr mit, dass niemand unter diesem Namen dort registriert sei. Also fragte sie sich: Wo ist die Sterbeurkunde?
Sie erkannte, dass es einen sicheren Weg gab, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Nach gründlichem Nachdenken entschied sie, dass sie Eddys Schicksal nur herausfinden konnte, indem sie den Friedhof besuchte, auf dem das Familiengrab seiner Eltern lag. Eddy hatte stets betont, wie schön er diesen Ort fand. Am nächsten Tag fuhr sie voller Neugier zum größten Friedhof in Wien. Den Weg zum Grab seiner Eltern kannte sie auswendig, da sie es oft gemeinsam besucht hatten.

Kaum an der Grabstelle angekommen, wo Eddys Eltern ruhten, stellte sie überrascht fest, dass das Grab nicht frisch ausgehoben war. Das Fehlen aufgewühlter Erde warf neue Fragen auf.
Seit dem Tod von Eddys Eltern hatte offenbar niemand mehr etwas in diesem Grab beigesetzt. Ein kurzer Moment der Unsicherheit überkam sie: War sie hier überhaupt richtig? Doch sofort erkannte sie die vertraute Umgebung wieder, und der Grabstein bestätigte es – er trug die Namen von Eddys Eltern. Das Fehlen einer frischen Beisetzung ließ sie jedoch nicht los. Es zwang sie, den rätselhaften Umständen nachzugehen. Mit einer Mischung aus Neugier und Vorsicht begann sie, die Geheimnisse dieses Ortes zu ergründen. Sie wollte die Wahrheit ans Licht bringen, hier und jetzt. War Eddy vielleicht eingeäschert worden? Oder hatte er ein neues Grab erhalten? Ihre Gedanken überschlugen sich.

„Das ist sicher Hedis Werk“, dachte sie plötzlich. „Sie will mich in die Irre führen, mich vernichten. Sie gönnt mir mein Erbe nicht. Ich muss sie loswerden, egal wie. Der Plan darf nicht scheitern – die Gefahr ist zu groß. “

 

Plötzlich knackte ein Zweig hinter ihr. Ida drehte sich aufgeschreckt um.
 

„Du glaubst doch nicht, dass ich es dir leicht mache, oder? “ Hedi trat aus dem Schatten.
 

„Hedi“, sagte Ida und musterte sie mit einem spöttischen Grinsen. „Dich hätte ich hier nicht erwartet. “
„Was suchst du am Grab meiner Eltern? “, fragte Hedi scharf.

 

„Ich wollte ihnen meinen Respekt erweisen“, erwiderte Ida ruhig. „Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dir hier zu begegnen. “
 

Hedi verschränkte die Arme.

 

„Das kaufe ich dir nicht ab, du falsche Schlange. Seit mein Bruder schwer krank wurde, sprichst du nur noch in Lügen. Du bist doch nur hier, um sicher zugehen, dass er tot ist. Man sieht es dir an: Du denkst nur ans Erbe, nicht an deinen Mann. “
 

Ida hob die Augenbrauen.

 

„Das ist nicht wahr. Aber ist er denn gestorben? “

Den wahren Grund ihres Aufenthalts verschwieg Ida. Wer konnte wissen, was Hedi tun würde, wenn sie erfuhr, dass Ida ihr ebenfalls schaden wollte? Also entschied Ida, den Streit zu beenden und nach Hause zu gehen. Dort wartete Emil ungeduldig auf sie.

 

„Hast du etwas herausgefunden? War er tot, begraben in der Erde? “

 

Es war grausam, das auszusprechen, und man könnte meinen, Ida würde sich gekränkt fühlen, wenn jemand so über ihren verstorbenen Mann redete. Doch die Aussicht auf ein Erbe kann Menschen in den Wahnsinn treiben.
 

„Ja“, log sie ihm ohne Zögern ins Gesicht. „Er wurde begraben, ich habe das frische Grab gesehen. “
 

Ida täuschte Emil kaltblütig.

„Morgen treffe ich den Notar, alle Vorbereitungen sind getroffen. “ Bald kannst du deine Cocktails in der Karibik genießen, mein Geliebter.

Doch in der Nacht fand Emil keinen Schlaf. Unruhig wälzte er sich im Bett, der Gedanke an ein Scheitern ihres Plans quälte ihn. Er fühlte sich verloren und unsicher, da er auf ihren Erfolg angewiesen war. Sollte der Plan scheitern, würde sie keinen Cent der Erbschaft erhalten. Das verschlimmerte die Lage. Schlaflos schweiften seine Gedanken zu den möglichen Konsequenzen. Er überlegte, wie sich das auf ihre Beziehung und die gemeinsame Zukunft auswirken würde. Die Unsicherheit nagte an ihm und hinterließ eine tiefe Traurigkeit. Am nächsten Tag betrat sie die Kanzlei des Notars und setzte sich in den leeren Warteraum.

 

„Er wird sich gleich um Sie kümmern“, hatte die charmante junge Sekretärin ihr vor dreißig Minuten versichert.

„Gleich Ja, sicher! “, murmelte sie leise und schaute auf ihre Uhr. Was könnte wichtiger sein als ihr Termin? Ida dachte darüber nach, ohne die bevorstehende Wahrheit zu ahnen, die auf sie wartete.

Plötzlich klingelte das Telefon und durchbrach die Stille. Idas Augen weiteten sich, als sie Hedis Nummer auf dem Display sah. Unsicherheit überkam sie und ließ sie zögern, bevor sie abhob. Warum wollte Hedi jetzt Kontakt aufnehmen, wo Ida kurz davorstand, ihr Erbe zu erhalten? Nach kurzem Überlegen entschied sich Ida, den Anruf zu ignorieren. Sie war überzeugt, dass dies nicht der richtige Moment war, um Hedis kindische Spiele mitzuspielen. Noch immer hallten die Worte in ihrem Kopf nach: „Ich werde es dir nicht leicht machen“, die Hedi ihr am Friedhof gesagt hatte.

Es war offensichtlich, dass dieser Anruf ein weiterer Schachzug in Hedis Plan war. Doch Ida schwor, Hedi nicht als Siegerin aus ihrem endlosen Streit hervorgehen zu lassen. Schließlich kehrte die Sekretärin zurück.

„Folgen Sie mir bitte“, sagte sie, drehte sich um und ging, ohne auf Idas Antwort oder ihre Sachen zu warten. Sie öffnete die Tür zu einem anderen leeren Raum.
 

„Wo ist Dr. Kraus? “, fragte Ida aufgebracht. „Sie sagten, er wäre gleich hier! “
Ihre Geduld schwand.

 

„In Ihrem Fall gab es eine dringende Angelegenheit, die sofortige Aufmerksamkeit von Dr. Kraus erforderte. Er wird kommen, sobald alles geklärt ist. “

Die Sekretärin verließ den Raum und zog die Tür hinter sich zu. Ida starrte fassungslos vor sich hin, ihr Herz klopfte heftig. „Wenn er sich mit meinem Fall beschäftigt, warum bin ich dann nicht dabei? “, fragte sie sich.

Zum Glück blieb ihr diesmal eine lange Wartezeit erspart. Nach etwa zehn Minuten hörte sie Stimmen aus dem Nebenraum. Sie klangen, als kämen sie näher. Eine Stimme erkannte sie sofort: Dr. Kraus. Doch wer war die Frau, mit der er sprach? Nur eine Person kam ihr in den Sinn, und der Gedanke beunruhigte sie. Plötzlich rief jemand:

„Hallo, Ida. Mit mir hast du hier wohl nicht gerechnet, oder? “

 

„Hedi? Was machst du hier? “

Hedi hatte sie wieder aufgespürt. Doch diesmal wusste Ida, dass sie Hedi einen Schritt voraus war. Eddy war tot, sein Testament unveränderlich. Egal, wie sehr Hedi sich sträubte, Ida würde das gesamte Familienvermögen erben. Davon war Ida fest überzeugt.

Doch Hedi hatte noch eine letzte Überraschung. Dr. Kraus setzte sich Ida gegenüber an den Tisch und starrte sie wortlos an. Eine Weile herrschte Stille, bis Dr. Kraus sie schließlich durchbrach.

„Frau Ida, bevor wir weitermachen, müssen Sie etwas Wichtiges verstehen: Heute werden Sie diesen Raum nicht als Millionärin verlassen. “

 

Diese Worte trafen Ida tief und entfachten eine glühende Wut in ihr. Sie hatte ihren Plan sorgfältig ausgearbeitet und war überzeugt, dass Hedi kein Schlupfloch finden würde.

„Wie meinen Sie das, Dr. Kraus? Ich verstehe nicht“, fragte sie sanft und bemühte sich, die Fassung zu bewahren. Ida wusste, dass ein Wutanfall nichts bringen würde. Dr. Kraus begann behutsam zu erklären:

 

„Liebe Frau Ida, es hat sich ein Ereignis ereignet, das Ihren Fall verändert. “

„Was soll sich ändern? Mein Mann ist verstorben, Dr. Kraus. “

 

„Und wo ist die Sterbeurkunde von—“ begann er, als Ida ihn unterbrach. Sie explodierte vor Wut und schrie:

 

„Schuld an allem ist sie, Dr. Kraus! Die gierige Schwester meines Mannes ist bösartig und gefährlich. “
 

Sie warf Hedi vor, Informationen zu verschweigen, und gab ihr die Schuld an ihrem Leid.
 

„Ich ertrage diese Frau nicht mehr! Sie will um jeden Preis mein Erbe verhindern. “ Doch das Haus, das Geld und das Auto gehören mir – nur mir allein.

Idas Frustration kochte über. Sie hatte alles daran gesetzt, die nötigen Dokumente zu beschaffen. Der Gedanke, alles zu verlieren, war für sie unerträglich. Dabei ahnte sie nicht, dass Hedi gar nicht das wahre Hindernis war. Hedi war nur eine Spielfigur in einem raffinierten Plan. Eine ganz andere Person zog die Fäden in diesem manipulativen Spiel gegen Ida. Die Spannung im Raum war greifbar, als Ida mit Nachdruck fragte:

 

„Was geht hier vor? Was verheimlicht ihr mir? “

Die Luft knisterte, während die Wahrheit auf ihre Enthüllung wartete. Plötzlich ertönte eine unverwechselbare Männerstimme von hinten:

 

„Du warst schon immer jähzornig. “

 

Idas Körper versteifte sich, als sie die Stimme hörte, die sie aus jeder Entfernung erkennen würde. Langsam drehte sie sich um und sagte:

 

„Eddy? “

 

Verwirrung spiegelte sich in ihren Augen, als sie fortfuhr:

 

„Was Warum bist du hier? Warst du nicht Du warst ...“

 

Eddy hielt inne und ergänzte: „Tot?

 

“Seine Worte klangen enttäuscht, als er fortfuhr:

 

„Für dich war ich das wohl, nicht wahr, Ida? Wie konntest du mir das antun? Es gab keinen Grund, mich zu betrügen, als ich dem Tod so nah war. Deine bewusste Täuschung ist erbärmlich.

 

 “Ida war verblüfft, ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Immer wieder fragte sie sich: „Wie konnte das sein? Wie konnte ich glauben, er sei tot? “
 

Ihre Unsicherheit war nun unübersehbar. Sie wusste nicht mehr, wie sie das alles bewältigen sollte. Doch mitten im Chaos spürte sie auch Erleichterung. Tief in ihrem Inneren konnte sie nicht leugnen, dass sie jemanden, den sie so lange liebte, nicht verlieren wollte. Dieser späte Trost stand dem Scheitern ihres durchtriebenen Plans gegenüber. Wie ein schwerer Stein traf sie die Erkenntnis, dass sie nun alles verloren hatte. Der Traum, Reichtum zu erben, löste sich in Luft auf. Ihre Zukunft zerfiel vor ihren Augen und ließ sie in tiefster Verzweiflung zurück.

Inzwischen spiegelte sich Erleichterung deutlich in Eddys Gesicht. Wie eine untragbare Last fiel alles von seinen Schultern. Die letzten Wochen waren alles andere als leicht. Doch nun schien alles wie ein unfassbares Wunder.

Nach langer Zeit in der Hospizpflege erlebte er eine erstaunliche Wandlung. Plötzlich durchströmte ihn eine neue, kraftvolle Lebendigkeit. Sie weckte seinen Geist und entfachte frische Lebensfreude. Die fast erloschene Flamme der Hoffnung flackerte auf, erhellte seinen Weg und erfüllte ihn mit Zuversicht. Aus Tagen wurden Wochen, und Eddys Gesundheit besserte sich stetig. Mit Entschlossenheit nahm er jeden Moment an und genoss die einfachen Freuden, die ihm zuvor unerreichbar schienen. Kaum genesen, verließ er das Hospiz und zog vorerst zu seiner Schwester, die ihn freudig aufnahm.

Er sehnte sich nach Antworten, nach der Wahrheit, die seinen Verdacht bestätigen sollte. Warum hatte Ida nicht die Scheidung eingereicht, als er im Hospiz lag? Er entdeckte, dass Ida ihn dazu gebracht hatte, das Testament zu ändern, und korrigierte es rasch. Doch er wollte es ihr nicht sofort sagen. Zuerst wollte er sehen, wie sie kämpfte. So rächte er sich für das, was sie ihm angetan hatte, während er im Sterben lag. Schließlich kam der Moment, die Wahrheit zu enthüllen. Im Beisein des Notars überreichte er ihr die Scheidungspapiere. Sie hatte auf nichts mehr Anspruch.

Seine letzten Worte an sie lauteten:

 

„Zum Teufel mit der Liebe, meine Gefühle für dich sind verschwunden. “

 

Das Blatt hatte sich gewendet, und Ida kehrte schweren Herzens und unerfüllt nach Hause zurück. Sie suchte Trost in der Vorstellung, dass Emil da sein würde, um sie zu trösten. Doch als sie ihm offenbarte, dass ihr Traum von der Karibik geplatzt war, reagierte er anders als erwartet. Seine heftige Wut überraschte sie. Noch am selben Abend packte Emil seine Sachen und verließ Ida. Nun war sie völlig allein, emotional und finanziell mittellos, ohne Besitz. Diese Konsequenz hatte sie selbst herbeigeführt. Eddy empfand kein Mitgefühl mehr für sie. Sein einziger Wunsch war, dass sie aus ihren Fehltritten lernt. Er hoffte, dies würde ihr rücksichtsloses Verhalten beenden. Nach diesem Tag verloren sie sich aus den Augen, und Eddy hörte nie wieder von ihr.

Er fand nie zurück in sein normales Leben, zu groß war die Enttäuschung über die gescheiterte Liebe seines Lebens. Das Haus, das er einst selbst baute, betrat er nie wieder. Stolz trieb ihn, sich zu verändern. Seinen gesamten Reichtum übergab er seiner Schwester zur Verwaltung. Sie ist der einzige Mensch, mit dem er noch spricht, wenn sie ihn besucht. Er lebt weiterhin das Leben, das er nach der Scheidung von Ida wählte. Jeden Tag freut er sich über das Morgenlicht, das verlässlich in seinen Zufluchtsort fällt. Diese Freude, am Friedhof geweckt zu werden, schenkt ihm den ersehnten Frieden.


Schlusswort
So wie sich sein Gesicht im Wasser Spiegel, so Spiegel sich sein Herz in ihm. So wie sich seine Liebe nach Treue sehnt, so sehnt er sich nach wahre Liebe.


 

Kurzgeschichte aus Simmering
 
 

 

Andreas K.

                                                                                                                                                        
(a Simmeringer Gschichdldrucka, wi´ra im biachl schdeht )

bottom of page