
Geister unter uns
Ich erwarte nicht, dass man die seltsame, aber einfache Geschichte, die ich erzähle, glaubt. Es wäre töricht, dies zu tun, denn selbst ich zweifle an meinen Sinnen. Doch bin ich weder wahnsinnig noch habe ich geträumt. Bei mir löste sie ein Schaudern aus, anderen mag sie weniger schrecklich, sondern eher sonderbar erscheinen. Ich, Sam, bin mit meiner Frau Lis verheiratet. Wir haben zwei Söhne und leben in einem Haus in einer Kleingartensiedlung, die an eine Schlossmauer und einen Friedhof grenzt.
Diese Siedlung liegt im elften Bezirk von Wien, Simmering genannt. Wir leben schon eine Weile mitten in einem idyllischen Garten. Die Familie meiner Frau, die hier ihre Kindheit verbrachte, wohnt teils noch länger in dieser Gartensiedlung. Oma, Opa, ihre Eltern, Onkel und Tanten, Cousin Herb mit seiner Frau Molly, Cousine Nelly mit ihrem Freund Ron – doch sehen wir sie kaum, weil die Arbeit uns stark beansprucht. Dazu kommen unsere Söhne Arby und Max, die uns den letzten Nerv kosten. Sie sind aufgeweckt, voller Energie und wollen diese mit uns teilen.
Seit einiger Zeit hören wir, dass Herb und Molly sich leidenschaftlich dem Spiritismus hingeben. Onkel Jess berichtete, sie würden angeblich mit Verstorbenen kommunizieren. Tante Elsa sprach von Geisterbeschwörung und dem Ruf ins Jenseits.
„Die beiden sind regelrecht vom Geisterglauben besessen“, sagte sie. Nächtelang sitzen sie mit anderen zusammen und unterhalten sich mit den Toten.
Tante Elsas Gesicht verriet, wie unangenehm ihr das Thema war. Sie verstand es nicht und schämte sich zutiefst.
„Die Nachbarn flüstern über unsere Familie“, sagte sie.
„Lasst sie flüstern, solange es dabei bleibt, und schenkt dem Gerede keine Beachtung“, entgegnete Onkel Jess genervt.
Doch ich tat es, denn sofort überkamen mich Erinnerungen an meine Jugend. Mit etwa fünfzehn Jahren begegneten meine Freunde und ich erstmals dem Jenseits: Geistern, verstorbenen Seelen, die wir herbeiriefen. Wir nannten es "Buchdrehen", ein Ritual, das Hardy, ein Freund von mir, uns beibrachte. In seiner Familie war es Tradition, an bestimmten Tagen dieses Ritual durchzuführen. Wir trafen uns in seiner Wohnung, wenn seine Eltern ausgingen und den Abend im Restaurant verbrachten. So praktizierten wir das Ritual, und ich würde sagen, es ist der einfachste Weg, mit Geistern in Kontakt zu treten.
Wir nahmen ein Wörterbuch, einen Schlüssel mit großem Kopf und eine Schnur. Den Schlüssel legten wir in die Buchmitte und banden ihn mit der Schnur fest, sodass der Kopf herausragte. Zwei von uns hielten den Schlüsselkopf mit je einem Finger, das Buch hing herab und konnte sich nur halb nach rechts oder links drehen. Dann riefen wir die Verstorbenen und warteten, bis sich das Buch bewegte. Wir stellten nur Ja- oder Nein-Fragen. Nach kurzer Diskussion entschieden wir, dass eine Drehung nach rechts Ja und nach links Nein bedeutet.
Dann riefen wir die Geister, immer wieder, bis sich das Buch zu drehen begann. Jedes Mal, wenn es klappte – und das geschah fast immer –, spannte sich alles in mir an, und Adrenalin jagte durch meinen Körper. Die Stille im Raum wurde unheimlich, sobald das Buch sich bewegte. In diesen Momenten sah ich meinen Freunden in die Augen und erkannte dort die selbe Angst, die auch mich ergriff. Es war ein Gemisch aus Nervosität, Unsicherheit und lähmendem Schrecken – so würde ich es beschreiben. Obwohl wir wussten, was uns erwartete, trafen wir uns immer wieder. Die Gier danach trieb uns voran, bis sie sich wie eine Sucht anfühlte, eine quälende Ungewissheit, die uns nicht losließ.
Nach jeder Frage berieten wir uns kurz und stellten dann die nächste, bis wir das Gespräch mit dem Geist beendeten. Zum Schluss sprachen wir noch eine Weile über diesen aufregenden Abend, meist über das oft seltsame Verhalten mancher Geister. Danach machten wir uns fast immer gemeinsam auf den Heimweg. Wir taten dies einige Jahre, bis wir erwachsen wurden und der Kontakt durch Umzüge in andere Bezirke abbrach.
Doch das, was Herb und Molly angeblich tun, unterscheidet sich völlig von unseren früheren Aktivitäten. Die beiden sind derzeit das Hauptgesprächsthema in der Familie. Alle erzählen unglaubliche Geschichten über sie, doch ich vermute, dass durch Übertreibungen vieles anders erscheint, als es tatsächlich ist.
Die Geschichten wecken meine Neugier. Sie rufen die quälende Ungewissheit meiner Jugend wach. Doch fehlt mir der Mut, meine Frau zu fragen, ob sie einen Abend bei Herb und Molly verbringen möchte. Ich kann ihre Reaktion nicht einschätzen, da wir nie über Spiritismus sprachen. Lis zeigt keine Regung, wenn die Familie über Geisterkommunikation spricht.
„Ich bin nicht dabei, also urteile ich nicht über Herb und Molly“, sagte sie nur.
Die große Neugier weckte schließlich meinen Mut, und ich fragte Lis, ob wir Herb und Molly besuchen könnten. Der Gedanke, an einem solchen Abend in die Geisterwelt einzutauchen, faszinierte mich so sehr, dass er nicht mehr aus meinem Kopf wich.
„Wenn du unbedingt willst, frage ich Molly bei Gelegenheit“, sagte Lis. „Aber eines musst du wissen: Ich fühle mich bei dieser Sache unwohl. Genauer gesagt, bin ich sehr nachdenklich, was uns dort erwarten könnte. Mein Interesse an unheimlichen Ereignissen wird von Angstzuständen überschattet, denn der Gedanke an Geister erfreut mich nicht gerade. Dennoch verspüre ich eine besondere Neugier. Deshalb möchte ich mit dir, mein Liebster, diese Gelegenheit auf keinen Fall verpassen. “
Einige Tage später traf sie ihre Cousine Molly. Sie sprachen über das bevorstehende große Familienfest. Lis erwähnte dabei, dass die Nachbarn über sie tuscheln – genau wie Tante Elsa und Onkel Jess es berichtet hatten. Molly nickte nur.
„Wir ahnten schon lange, dass die Leute über uns reden. “
Wenn ich Herb darauf anspreche, sagt er nur:
„Wenn sie so gern über uns reden, lass sie doch. Wahrscheinlich wissen sie nicht, was wir wirklich tun. “
„Mach dir nichts draus, Molly. Was die Nachbarn sagen, ist egal. “ Sam und ich würden uns freuen, einen gemütlichen Abend mit euch zu verbringen. Vielleicht könnt ihr uns auf eine spannende Reise ins Reich der Geister mitnehmen“, kicherte Lis.
„Wie meinst du das? “
„Na, Geister beschwören, du weißt schon. “
Molly schaute überrascht mit großen Augen.
„Wollt ihr wirklich mit uns die Geister der Verstorbenen rufen? “
„Ja, Sam und ich würden gern mit Herb und dir einen solchen Abend erleben. “
„Ich hoffe, ihr wisst, worauf ihr euch da einlasst. “
„Nicht genau, aber wir haben einiges darüber gehört und gelesen. “ Sam hatte in seiner Jugend sogar schon einmal Geister beschworen.
„Gut, dann kommt doch am Samstag gegen 17 Uhr zu uns. Herb und ich freuen uns auf euch. “
„Gern, Molly. Dann sehen wir uns am Samstagnachmittag. “
Als Lis nach Hause kam, rief sie freudig:
„Sam! Sam, ich bin da! “
„Was ist denn so besonders? “, fragte ich erstaunt.
„Ich habe Molly getroffen. Sie hat uns für Samstagnachmittag eingeladen. Überraschung: Herb und Molly wollen uns die Welt der verstorbenen Seelen näher bringen. “
„Das freut mich sehr“, antwortete ich, denn meine Erwartungen an das Ritual der Geisterbeschwörung waren hoch. Ich hoffte nur, die Zeit bis zum Treffen würde schnell vergehen – und das tat sie auch.
Am Samstagmorgen beim Frühstück sprachen wir über das Treffen, auf das ich so sehnsüchtig wartete. Was würde uns dort erwarten? Wie sollten wir uns verhalten? Am Ende waren wir uns einig: Wir lassen uns überraschen. Und genau das taten wir. Pünktlich kamen wir bei Herb und Molly an. Herb öffnete die Tür und bat uns herein. Kaum waren wir eingetreten, sagte ich zu Lis:
„Schau mal, Onkel Wick, Tante Somy, Nelly, Ron und deine Mutter Magret sind auch hier. “
Lis freute sich, denn sie hatte alle lange nicht gesehen. Es gab viel zu erzählen. Wir lachten, tranken und plauderten über dies und das – nur nicht über Geister, weil wir wussten, wie die meisten in der Familie dazu standen. Der Samstagnachmittag verging wie im Flug, und als die Uhr 21 schlug, wandte sich Onkel Wick an Tante Somy:
„Liebling, es wird Zeit, nach Hause zu gehen. “
Magret lachte und meinte:
„Für mich auch. Der Wein macht mich gerade ziemlich schläfrig. “
Und so schloss sie sich den beiden an. Sie verabschiedeten sich von uns und verließen das Familientreffen. Übrig blieben nur Nelly, Ron, Lis, Herb, Molly und ich.
Molly sagte:
„Na gut, ihr Lieben, wir bereiten jetzt alles vor, um in die spirituelle Welt einzutauchen. “
Lis schaute überrascht zu Nelly. „Ihr bleibt auch hier? “
„Ja, Ron und ich wollen uns das nicht entgehen lassen. “
„Das ist ja großartig! Habt ihr so etwas schon mal gemacht? “
„Nein, für uns ist es auch das erste Mal. “
„Oh, wir sind so aufgeregt! “, murmelte Ron mir zu.
Ich nickte und antwortete.
„Uns geht es genauso, Ron, das kannst du uns glauben. “
Ich schaue mich um und sehe, dass alle hier angespannt wirken. Eine leichte Unruhe liegt in der Luft.
„Da stimme ich dir voll zu, Sam. “
„Helft mir mal bitte“, ruft Herb aus der Küche.
Er hält ein großes, hellbraunes Backpapier in der Hand, das er auf dem Tisch ausbreitet und an den Ecken befestigt. Molly schreibt im ersten Drittel des Papiers das Alphabet. In der Mitte platziert sie links „Nein“ und rechts „Ja“, darunter die Zahlen null bis neun. Lis fragt Molly:
„Wie nennt man das Papier, das du gerade beschreibst? “
„Herb und ich nennen es Seelenblatt“, antwortet Molly.
Herb brachte einen kleinen weißen Teller, zeichnete auf der Unterseite einen Pfeil und stellte ihn umgedreht auf den Tisch, so dass der Pfeil nach oben zeigte. Molly zündete alle Kerzen im Wohnzimmer an und schaltete das Licht aus. Schlagartig änderte sich die Stimmung im Raum. Die Veränderung war so spürbar, dass sie mir unheimlich vorkam. Plötzlich überkam mich eine diffuse Angst. Unsere Stimmen wurden leiser, während die Nervosität, vor allem bei den Neulingen, förmlich greifbar wurde.
„Setzt euch bitte an den Tisch“, sagte Molly.
„Ich erkläre jetzt das Ritual. Ihr müsst wissen: Die Geister, die wir rufen, kommunizieren über den Teller mit uns. “
„Wie bitte? “, rief Nelly erstaunt.
„Du hast richtig gehört“, sagte Molly. „Der Teller wird sich bewegen, denn der Geist dreht und schiebt ihn, so dass der Pfeil auf einen Buchstaben oder eine Zahl zeigt. Wir setzen die Buchstaben zu einem Wort zusammen oder addieren die Zahlen. “
Um den Kontakt zum Geist herzustellen, legen wir alle den rechten Zeigefinger leicht auf den Teller. Bei jeder Bewegung bleibt der Finger sanft aufgelegt. Egal wohin der Teller gleitet, bis zum Ende des Gesprächs muss der Finger den Teller berühren. Nur so bleibt die Verbindung zum Geist bestehen. Habt ihr es verstanden?
„Ein rasches, gemeinsames Ja folgte. “
Als Nächster wird einer von uns einen verstorbenen Geist aus seiner Familie rufen. Er nimmt Kontakt auf und stellt ihm die Fragen, die wir zuvor gemeinsam festgelegt haben. Während des Gesprächs bleiben die anderen am Tisch still und zurückhaltend. Wir sind nur da, um zu helfen, falls der Rufer uns braucht. Bitte redet nicht durcheinander, schreit, lacht oder flucht – solche Dinge sind strikt verboten. Wichtig ist, dass wir sofort prüfen, ob es der richtige Geist ist. Andernfalls könnte es schwierig werden.
„Was meinst du mit schwierig? “, fragte Lis.
„Es gibt gute und böse Geister. Bisher hatten wir meist gute, weil wir nur verstorbene Familienmitglieder rufen. Doch manchmal schleicht sich ein fremder Geist ein. Der kann böse sein – oder auch nicht. Trotzdem müssen wir ihn sofort zurückschicken. “
Ron fragte:
„Was passiert, wenn wir das nicht tun? “
„Die Geister, die wir nicht kennen, kehren meist nicht freiwillig an ihren Ursprung zurück. “ Sie täuschen uns, wollen uns eher erschrecken als wirklich Angst machen. Wir wissen nichts über sie, deshalb sollten wir sie so schnell wie möglich zurückschicken. Aber keine Sorge, uns wird nichts Schlimmes passieren. Habt ihr das verstanden?
Wir nickten alle.
„Gibt es noch Fragen? “
„Nein“, sagte Lis, und der Rest von uns schüttelte ebenfalls den Kopf.
„Gut“, sagte Molly. „Dann tauchen wir jetzt in die Welt der Seelen ein. “
Herb ergänzte: „Bitte nehmt das ernst und konzentriert euch. So haben wir die besten Chancen auf Erfolg. “
„Ich rufe jetzt meinen verstorbenen Schwiegervater“, sagte Molly.
Ihre zittrige Stimme verriet Nervosität. Sie atmete tief ein und begann:
„Herb Senior, hier ist Molly, die Frau deines Sohnes. Wenn du mich hörst, gib ein Zeichen und komm zu uns. “
Wir beugten die Köpfe leicht nach unten und beobachteten das Geschehen. Kurz hob ich den Blick und traf Rons Augen. Wir grinsten beide – irgendwie fanden wir es komisch, wie Molly den Geist rief. Sie rief ein zweites Mal, ein drittes Mal. Plötzlich bewegte sich der Teller und glitt langsam zur Mitte des Tisches. Wir richteten uns auf, sahen einander an und wurden blass. Adrenalin schoss durch meinen Körper, von den Zehen bis in den Kopf und zurück. Keiner von uns Neulingen brachte ein Wort heraus. Nelly stockte sogar der Atem.
„Atme tief ein und aus, Nelly“, flüsterte Ron.
Es wirkte. Sie beruhigte sich schnell. Molly fragte weiter:
„Bist du wirklich Herb Senior, mein Schwiegervater? “
Der Teller glitt langsam von Buchstabe zu Buchstabe. Die Antwort lautete: Ja, ich bin es. Molly stellte ihm zunächst Fragen, die nur Herb und sie über ihn wussten, um sicherzugehen, dass er es wirklich war. Dann fragte sie, ob er uns alle am Tisch erkenne. Wieder antwortete er mit Ja und schrieb unsere Namen auf. Der Teller bewegte sich so schnell, dass wir kaum die Finger darauf halten konnten. Ich war so erstaunt, dass ich kaum Worte fand, um das Geschehene zu beschreiben. Andererseits war es verständlich, dass er uns erkannte, schließlich war er der Onkel von Nelly und Lis. Dennoch zweifelte ich, ob nicht jemand den Teller schob. Herb bemerkte mein Misstrauen und fragte leise:
„Sam, zweifelst du am Ritual? “
„Nur am Teller“, antwortete ich. „Vielleicht schiebt jemand mit dem Finger nach. “
„Nein“, sagte Herb. „Das bildest du dir ein. Molly und ich werden es dir später beweisen. “
Wir setzten die Fragen fort. Nach etwa einer Stunde dankte Molly Herb Senior für sein Kommen und verabschiedete sich höflich.
„Jetzt warten wir etwa fünf Minuten“, sagte Molly beruhigend. „Dann rufe ich Herbs Vater noch einmal. Bewegt sich der Teller nicht mehr, wissen wir, dass er gegangen ist. “
Und es gelang: Der Teller blieb still, und Herb Seniors Geist war verschwunden. Wir machten eine kurze Pause, denn der Abend verging rasch und die Versuchung, weiterzumachen, war groß. Herb fragte:
„Wer wagt es, den nächsten Geist zu rufen? “ Er sah mich an:
„Sam, möchtest du es versuchen? “
Nach kurzem Zögern antwortete ich selbstbewusst:
„Ja, ich werde meinen verstorbenen Vater rufen. “
Es fällt mir unglaublich schwer, denn ich habe seinen Tod noch nicht überwunden. Doch ich werde es versuchen.
Wir besprachen kurz den Ablauf der Fragen, dann ging es los. Wie gewohnt legten wir den Zeigefinger auf den Teller. Ich atmete tief durch und begann zu rufen:
„Vater, ich bin es, dein Sohn Sam. Wenn du mich hören kannst, gib uns ein Zeichen. “
Nichts geschah. Ich rief ein zweites Mal, dann ein drittes. Langsam wurde ich nervös. Vielleicht konnte er nicht antworten– oder schlimmer, er wollte es nicht. Lis bemerkte meine Unruhe:
„Bleib ruhig, Sam. Ich spüre es, der Teller bewegt sich. “
Tatsächlich, er bewegte sich – schwach, aber sichtbar. Da rief ich:
„Bist du es, Vater? “
Der Teller glitt zu den Buchstaben. Sie fügten sich zu Wörtern, die einen Satz ergaben: „Ja, ich bin es, mein Sohn. “
Meine Finger zitterten so sehr, dass ich den Teller kaum halten konnte. Molly bemerkte meine Unruhe, legte ihre Hand auf meine und sagte:
„Ganz ruhig, Sam. Du musst weiterfragen, um sicherzugehen, dass es wirklich dein Vater ist. “
„Wie heißt meine Frau? “
„Lis. “
Ein Gefühl der Sicherheit durchströmte mich. Ja, er ist es.
„Wie viele Kinder habe ich? “
Der Teller bewegte sich zur Zahl Drei. Alle im Raum starrten mich an und schüttelten die Köpfe.
„Das kann nicht sein. Ihr habt nur zwei Söhne, Arby und Max“, sagte Nelly. „Der Geist lügt. “
Lis blickte mich mit großen Augen an und meinte:
„Sam, du kannst es ihnen sagen. “
Ich holte tief Luft.
„Liebe Familie, mein Vater lügt nicht. Ihr wisst es nur noch nicht: Lis, bekommt ein Baby sie ist im zweiten Monat schwanger.“
Verblüffung breitete sich aus, dann Erleichterung. Herb strahlte.
„Unglaublich! Ich gratuliere euch beiden. “
Von allen Seiten kamen Glückwünsche. Nelly hatte Tränen in den Augen. Doch nach kurzer Zeit unterbrach Ron die freudige Runde.
„Sam, du musst mit deinem Vater weitersprechen. “
„Ja, Ron, du hast recht. “
Ich fragte meinen Vater weiter, doch der Zweifel an der Echtheit blieb stark. Also stellte ich eine Frage, deren Antwort ich überprüfen konnte.
„Vater, kannst du sehen, was Fred, mein Bruder, der im Nachbarbezirk wohnt, gerade tut? “
Der Teller bewegte sich kurz, dann lag er still. Es schien, als müsste mein Vater Fred besuchen, da er ihn von hier aus nicht sehen konnte. Nach kurzer Zeit bewegte sich der Teller erneut. In diesem Moment rief Herb:
„Alle außer Sam nehmen jetzt den Finger vom Teller! “
Sie taten es, und nur mein Zeigefinger berührte noch den Tellerrand. Unglaublich – mein Zweifel, mein Misstrauen, alles war verflogen. Molly rief:
„Glaubst du jetzt, dass es funktioniert? “
Ich nickte, und da hatte mein Vater schon geantwortet:
„Fred liegt im Wohnzimmer auf dem Sofa und liest ein Buch. “
Dieses Gefühl ließ sich nicht in Worte fassen. Instinktiv sah ich auf die Uhr, um die Zeit festzuhalten: 23 Uhr. Danach stellte ich meinem Vater noch einige Fragen. Mit Tränen in den Augen sprach ich voller Freude mit ihm, zugleich schmerzte es, ihm nicht mehr nah sein zu können. Schließlich verabschiedete ich mich und ließ ihn zurückkehren. Nach kurzem Zögern rief ich ihn ein letztes Mal, um sicher zugehen, dass er nicht mehr bei uns war. Dann standen wir alle auf, um uns die Beine zu vertreten. Nelly fragte, ob es in Ordnung sei, wenn Ron seinen verstorbenen Onkel Ben noch einmal rufen würde.
„Einverstanden, wir machen noch eine Runde“, sagte Molly. Herb fragte Lis und mich, ob das für uns auch in Ordnung sei. Unser zustimmendes Nicken unterbrach Ron.
„Ich bin bereit, wir können anfangen. “
Alle legten die Finger auf den Teller, und Ron rief:
„Onkel Ben, wenn du mich hörst, gib uns ein Zeichen. “
Plötzlich glitt der Teller zur Tischmitte, die Kerzenflammen flackerten, und ein leichter Windhauch schien durchs Haus zuziehen. Doch Fenster und Türen blieben geschlossen. Ich fühlte mich unwohl, und Lis meinte, ihr sei plötzlich kalt.
„Ich glaube, ich bin ziemlich nervös“, sagte Nelly mit zitternder Stimme.
Ihre Hände begannen zu schwitzen. Molly rief:
„Ganz ruhig, Ron, frag bitte vorsichtig weiter. “
„Bist du mein Onkel Ben? “
Der Teller schnellte auf Nein. Vor Schreck zogen alle außer Ron und Herb die Finger zurück. Ron zitterte, doch Herb bemerkte es und sprang ein. Er übernahm sofort das Gespräch, seine Stimme klang dabei deutlich lauter.
„Wer bist du? “
„Der, den ihr nicht wollt. “
„Kennst du uns? “
„Vielleicht den einen oder anderen. Doch wer mich kennt, mag mich nicht. “
„Wie nennt man dich? “
„Die meisten sagen böser Geist. Ich bin eher nur unartig. “
Herb sprach leise:
„Danke, dass du gekommen bist. Jetzt geh bitte zurück, woher du kamst. “
Der Teller schoss blitzschnell auf das Wort "Nein", während ein altes, verstaubtes Buch aus dem Regal flog. Jetzt packte uns die Angst; ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. Herb sprach weiter:
„Warum willst du nicht gehen? “
„Ich gehe, wenn ich hier fertig bin. “
Ich blickte in die Augen der anderen und sah nur Ratlosigkeit. Plötzlich rief Molly:
„Ron, Herb, nehmt sofort die Finger vom Teller, der Kontakt muss abgebrochen werden! “
Kaum hatte Molly gesprochen, da waren die Finger schon vom Teller. Sie atmete tief durch.
„Gut, jetzt warten wir ab, was passiert. “
Wir warteten, doch nichts geschah. Vorsichtig legten wir nach einigen Minuten die Finger zurück auf den Teller, und Herb rief erneut:
„Bist du noch hier, fremde Seele? “
Wir hofften alle, der Teller bliebe still, doch er glitt rasch auf „Ja“.
„Was willst du von uns? “, fragten wir.
„Nur ein wenig mit euch spielen“, antwortete die fremde Seele.
„Wie bitte? Wir verstehen dich nicht. Was für ein Spiel meinst du? “
„Rätsel lösen. “
Wir warfen uns fassungslose Blicke zu. Nach kurzem Beraten stimmten wir zu. Herb wandte sich an ihn:
„Wenn wir das Rätsel lösen, versprichst du, dorthin zurückzukehren, woher du gekommen bist? “
„Ja, das verspreche ich. Aber bei jeder falschen Antwort erschrecke ich euch ein bisschen mehr. “
„In Ordnung, so soll es geschehen. Lass uns beginnen. “
„Der Geist schrieb das erste Rätsel auf. “
„Was ist taub, stumm und blind, aber sagt immer die Wahrheit? “ Ihr habt drei Minuten.
Wir versuchten, es zu lösen, doch die Zeit verstrich zu schnell. Wir legten die Finger auf den Teller, um die Antwort zu erfahren. Der Geist bewegte den Teller und schrieb: „Es ist der Spiegel. “ Im selben Moment ging das Licht an, die Jalousien des Wohnzimmerfensters sausten hoch, und es läutete an der Haustür. Alle am Tisch erschraken. Molly sprang auf, lief zur Tür, öffnete sie, doch niemand stand draußen. Sie schaute die Straße entlang, sah aber niemanden. Da schloss sie die Tür wieder und sagte:
„Das glaubt uns keiner. “
Lis sagte mit zittriger Stimme:
„Wir müssen das nächste Rätsel lösen. Strengt euch an, sonst wird es schlimmer. “
Herb rief den Geist, der das nächste Rätsel schrieb:
„Je mehr ich mich ausbreite, desto weniger könnt ihr sehen. “
Wir arbeiteten schneller als beim ersten Rätsel und fanden kurz vor Ablauf der Zeit eine Lösung. Herb sagte:
„Es ist der Nebel. “
„Falsch“, antwortete der Geist. „Es ist die Dunkelheit. Ihr habt verloren. “
Plötzlich schlug die Wohnzimmertür, die weit offen stand, mit voller Wucht zu.
„Nein, das darf nicht wahr sein! “, rief Nelly, Tränen liefen ihr über das Gesicht.
Ron versuchte, sie zu beruhigen, doch plötzlich krachte der Sessel unter ihm zusammen, und er landete auf dem Boden. Ich sprang auf, zog ihn hoch und sagte:
„Das kann kein Zufall sein. “
Mollys Gesicht erstarrte vor Schreck. Sie rief Herb zu:
„Wir müssen das Ritual sofort abbrechen! Ich will keinen Poltergeist in meinem Haus! “
Herb versuchte, Molly zu beruhigen. Ich half ihm dabei. Wir redeten auf sie ein, bis sie sich schließlich beruhigte. Dann wandte ich mich an alle:
„Uns bleibt keine Wahl. Wir müssen es noch einmal versuchen. Ich bin sicher, wir schaffen das. “
„Gut, dann rufe ich ihn“, sagte Herb.
„Geist, leg los und gib uns das nächste Rätsel. “
Der Teller setzte sich rasch in Bewegung.
„Kaltes mache ich warm, Heißes mache ich kalt. Wer mich verliert, stirbt. “
„Was! “, rief Molly entsetzt. Herb runzelte die Stirn, dachte nach und schüttelte den Kopf. Nelly und Ron schüttelten nur stumm, fast verzweifelt, den Kopf.
Nach kurzem Zögern sagte Lis:
„Das kann nur der Atem sein. “
Ich sprang in die Luft und rief:
„Ja, ja, genau, Lis! Das ist die Lösung! “
„Seid ihr euch sicher? “, fragte Molly.
„Ja“, antwortete Lis, „wir sind uns ganz sicher. “
Herb wandte sich sofort an den Geist:
„Hör gut zu! Wir kennen die Lösung – sie lautet: der Atem. “
Alle warteten auf eine Antwort, doch der Teller rührte sich nicht. Mit starren Blicken musterten wir einander und sahen nur Hoffnungslosigkeit. Molly wollte gerade sprechen, als der Teller unter unseren Fingern plötzlich zu hüpfen begann. Erschrocken zogen wir die Hände zurück. Der Teller sprang weiter, fiel vom Tisch, schlug auf dem Boden auf und zersprang in kleine Stücke.
Ein seltsamer Luftzug fegte durchs Haus und löschte alle Kerzen. Er wurde stärker, zog heftig an und riss die Bilder von den Wänden. Selbst die große, schwere Standvase in der Ecke, gefüllt mit Blumen, kippte um. Das Spektakel dauerte etwa zwei Minuten, fühlte sich aber endlos an. Danach lag eine unheimliche Stille im Raum, die ich mir nicht erklären konnte. Wir saßen reglos da, starrten uns an, und die Erschöpfung stand jedem ins Gesicht geschrieben. Nach einer Viertelstunde fragte Nelly.
„Ist es jetzt endlich vorbei? “
„Ich denke schon, aber sicher bin ich nicht“, sagte Molly.
Herb hingegen war überzeugt, dass der Albtraum vorbei war.
„So etwas mache ich nie wieder“, seufzte Ron.
„Lis meinte, sie sei unglaublich erleichtert, dass es nun wirklich vorbei ist. “
Ich lächelte leicht und sagte:
„Trotz allem, was heute Nacht passiert ist, danke ich euch allen für dieses unvergessliche Erlebnis. “
Wir blieben noch eine Weile und redeten über die Ereignisse des Abends. Als wir schließlich zum Ergebnis kamen, waren wir uns einig: So verlockend der Ruf nach Geistern auch sein mag, wir würden es nie wieder tun. Doch zum Schluss muss ich euch noch etwas erzählen. Am nächsten Morgen beim Frühstück dachte ich an meinen Bruder Fred. Die Sehnsucht nach klaren Antworten ließ mich nicht los, also rief ich ihn an. Er nahm ab.
„Hallo Fred, was hast du gestern gegen 23 Uhr gemacht? “ Ich weiß, die Frage klingt seltsam, aber bitte sei ehrlich. Danach erkläre ich dir, warum ich sie stelle.
Fred antwortete:
„Um diese Zeit lese ich vor dem Schlafengehen ein sehr spannendes Buch. “ („Zufall? “)
Schlusswort
Nehmt euch vor dem Geist der Gewalt in Acht, denn er wird immer stärker, da die Gewalt des Geistes immer schwächer wird.
Kurzgeschichte aus Simmering
Andreas K.
(a Simmeringer Gschichdldrucka, wi´ra im biachl schdeht)