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Francis – Frieden im Katzenreich

Francis, der Kater mit dem Tigerfell aus der Gartensiedlung Neugebäude, ist ein wahrer
Langschläfer. An einem warmen Sommervormittag verschläft er wie gewohnt die Stunden. Seine
beiden besten Freunde, Bat, der freche kleine Hauskater, und Luy, ein großer, kräftiger Maine-Coon-
Kater, belagern seit den frühen Morgenstunden das Haus, in dem er wohnt. Doch keiner traut sich,
ihn drinnen zu wecken – obwohl das leicht wäre, denn die Haustür hat eine Katzenklappe.
Eine Pfote in sein Haus zu setzen, wäre ein großer Fehler, den man schmerzhaft bereuen könnte. Er
duldet keinen Besuch, schon gar nicht im Schlaf. Francis verwandelt sich in einen Tiger, wenn er
zornig wird. Das wissen alle Tiere in Neugebäude. Einige spürten bereits seine scharfen Krallen.
Deshalb warten sie draußen, bis Francis aufsteht, meist gegen neun Uhr morgens. Sie miauten so laut,
dass es Francis' Frauchen zu viel wurde. Schließlich rief sie nach ihm.
„Francis, du Faulpelz, steh auf! Deine Freunde warten im Garten. “ Los, beweg dich, du faules Ding.
Raus auf die Terrasse zu deinen Freunden.
„Ja, ja, ist ja gut“, murrte Francis und schaute sein Frauchen an. „Ich gehe ja schon raus zu ihnen. “
Durch die Katzenklappe und schwupps, stand er vor ihnen. Mit weit aufgerissenen Augen fauchte er:
„Seid ihr verrückt geworden? So laut zu miauen, dass mein Frauchen mich wecken musste!
Verdammt, ich könnte euch sofort zerreißen. “
„Beruhige dich, Francis. Luy und ich warten schon seit Stunden auf dich“, sagte einer der beiden.
„Wir wollen doch nur Zeit mit dir verbringen. Aber du schläfst jeden Tag viel zu lange. Es ist schwer,
auf dich zu warten, und dabei wird uns furchtbar langweilig. Deshalb miauen wir so laut. “
„Ihr wisst doch, dass ich gerne lange schlafe“, entgegnete Francis.
„Ja, das wissen wir“, gab Luy zu. „Beim nächsten Mal sind wir leiser, versprochen. “
„Schon gut, Freunde“, sagte Francis. „Schwamm drüber. Aber jetzt lasst uns auf mein Frühstück
warten – in Ruhe. “
„Geht klar, Francis“, antworteten die beiden.
Es dauerte nicht lange, da kam sein Frauchen mit schnellen Schritten auf die Terrasse. In den
Händen hielt sie das Frühstück.
„Francis, dein Frühstück ist fertig. Lass es dir schmecken, mein großer, starker Tiger. “
Schnurrend (mhrrr) dankte Francis ihr und schmiegte sich an ihre Beine. Kaum hatte sie die
Terrasse wieder verlassen, rief Francis den anderen zu:
„Kommt und probiert, das Essen ist köstlich! Beeilt euch, sonst bleibt nichts übrig. “
Die beiden sprangen zur Futterschale und tauchten ihre Mäuler gierig hinein.
„Wow, das schmeckt fantastisch! “, rief Bat.
„Ja, wirklich großartig! “, stimmte Luy zu.
„Aber bitte, meine Freunde, schlingt nicht so hastig! Es ist genug für alle da. Bat, Luy, reißt euch
zusammen – euer Benehmen ist widerlich. Mehr Futter landet daneben, als je in der Schüssel war! “
„Oh“, das ist köstlich, eine wahre Geschmacksexplosion im Mund. Die Milch schmeckt vorzüglich,
ich kann nicht aufhören zu trinken.
„Ich auch nicht, Luy, sie ist so lecker. “
„Doch, ihr werdet sofort aufhören“, sage ich. „Ich will auch noch etwas von der Milch abbekommen.
Habt ihr mich verstanden, Bat, Luy, oder muss ich strenger werden? “
„Nein, schon gut, Francis, wir haben verstanden und hören auf zu trinken. “
„Gut“, antworte ich, „denn das war das letzte Mal, dass ihr auf meiner Terrasse esst. So ein Chaos bin
ich nicht gewohnt. Ich schäme mich für euer Benehmen, besonders meinem Frauchen gegenüber.
Ich hoffe nur, dass sie nicht auf mich böse ist. Sonst erlebt ihr noch was. “
Plötzlich stürzte Meister Fink heran. Dieser Buntspecht, voller Altklugheit, trägt seinen Namen mit
Stolz. Niemand kennt sein genaues Alter, doch viele behaupten, er lebe schon ewig hier. Mit den
Jahren hat er sich ein enormes Wissen angeeignet, das Francis oft zugutekommt. Die beiden
verbindet eine langjährige Freundschaft, und Meister Fink lehrt ihn gutes Benehmen. Das, so sagt er
Francis täglich, steigere sein Ansehen in der Gartensiedlung erheblich. Leider, fügt er hinzu, seien
gute Manieren wie freundliches Grüßen, Dankbarkeit und ordentliches Benehmen in diesem Land
seit Jahrzehnten verschwunden. Kaum auf der Gartenmauer gelandet, rief er Francis zu.
„Hallo, Francis. “
„Guten Tag, Meister Fink. “
„Francis, ich habe eine Nachricht für dich und deine Freunde. “
„Bitte, Meister Fink, teilen Sie sie uns mit. “
„Alle Anwesenden, auch du, sollen sich in wenigen Minuten im Garten des Alten Katers einfinden.
Er muss dringend mit euch Katzen aus der ganzen Gartensiedlung sprechen. “
„Danke, Meister Fink. Bitte richten Sie ihm aus, dass wir pünktlich da sein werden. “
„Das werde ich, mein Freund. “
„Francis (miau), was ist los? Was könnte das bedeuten? Ist vielleicht etwas passiert? “
„Ich weiß es nicht, Luy. Ich tappe im Dunkeln. Aber wenn der Alte Kater uns ruft, ist etwas im
Gange. Bat, trommle alle Katzen der Siedlung zusammen. Wir treffen uns dann beim Alten Kater. “
„Gut, Francis (gurr-miau). Ich mache mich sofort auf den Weg. “
Der alte Kater heißt eigentlich Sugar. Doch die meisten Katzen in der Nachbarschaft nennen ihn nur
den Alten Kater. Seit Jahren führt er die Katzenfamilie in dieser Siedlung an. Was er sagt, gilt – ohne
Widerspruch, ohne Murren. Vor etwa 22Jahren wurde Sugar in der Gartensiedlung geboren. Seine
Mutter, so erzählt man, war eine wunderschöne Waldkatze. Sie lebte in dem Garten, in dem Sugar
noch heute zu Hause ist. Auch sein Herrchen, den alle nur den alten Mann nennen, lebt dort noch.
Früher arbeitete er als Tierarzt, inzwischen genießt er den Ruhestand. Vielen Tieren hat er das Leben
gerettet –auch Sugar verdankt ihm seines.
Als Sugar noch jung und verspielt war, erlitt er bei einem Kampf mit einem Marder eine schwere
Verletzung. Der alte Mann fand ihn bewusstlos im Garten, blutend und in kritischem Zustand. Ohne
zu zögern, operierte er Sugar vor Ort und pflegte ihn gesund. Seitdem kennen alle Tiere der
Umgebung den Garten des alten Mannes – besonders die Katzen. Sugar, der alte Kater, erzählte
jedem seine Geschichte. Als die Katzen sich nach und nach im Garten einfanden, wartete Sugar auf
der Holzterrasse und rief ihnen zu.
„Hallo, meine Freunde, danke, dass ihr so zahlreich erschienen seid. “ Dieses Treffen hat eine
Bedeutung gewonnen, die sich nicht vermeiden ließ. Wir müssen eine wichtige Angelegenheit klären,
denn in unserer Nähe droht eine große Gefahr. Die Katzen vom Zentralfriedhof beanspruchen nun
auch unsere Siedlung als ihr Revier.
Was? Wie? Warum? Was soll das? Bisher herrschte Frieden zwischen uns und ihnen! Alle schrien
und fauchten wild durcheinander, so laut, dass niemand mehr ein Wort verstand. Da rief Sugar, der
alte Kater, mit kräftiger Stimme:
„Bitte, meine Freunde, bewahrt Ruhe! Wir klären das wie vernünftige Lebewesen. “
„Wie ihr wisst, habe ich vor vielen Jahren mit ihrem Anführer Rondo ein Abkommen geschlossen:
Die Siedlung gehört uns, der Friedhof ihnen. Doch Rondo ist gestern gestorben, und sein Sohn
Haron hat die Führung übernommen. “
Er ließ uns ausrichten, das Abkommen gelte nicht mehr. Ab sofort beanspruche er die gesamte
Umgebung des Friedhofs, einschließlich der Siedlung. Wie ihr wisst, bin ich zu alt und zu schwach,
um weiter Anführer zu sein. Deshalb möchte ich euch einen Vorschlag machen: Francis soll der
nächste Anführer unserer großen Katzenfamilie werden.
„Ja! “, riefen die Katzen begeistert (brrmiau, mrrriau) dem alten Kater und Francis zu. „Francis ist der
Richtige! Er wäre ein hervorragender Anführer. Wir alle hier wollen ihn als Oberhaupt! “
Plötzlich erhob sich Francis, ganz ruhig, und sagte: „Nein, meine Freunde, ich bin noch nicht so weit.
Ich genieße mein Faulpelzleben und möchte es nicht aufgeben. Jemand anderes muss diese Aufgabe
übernehmen. “
„Aber Francis“, rief der alte Kater, „du bist besser vorbereitet, als ich es damals war. “
„Nein, bitte, Alter Kater, respektiere meine Antwort. “ Auch ihr alle hier, nehmt es bitte zur
Kenntnis.
Francis drehte sich um und ging davon. Meister Fink flog ihm sofort nach.
„Francis, bleib stehen, warte auf mich. Ich möchte nur kurz mit dir reden. “
„Es gibt nichts zu besprechen, Meister Fink. Mein Entschluss steht fest: Ich bin nicht bereit, Anführer
zu werden. “
„Der alte Kater war es damals auch nicht. Trotzdem wurde er ein guter Anführer und ist es noch
heute. Doch seine Zeit ist gekommen, die Verantwortung weiterzugeben. Ich bin überzeugt, du wärst
ein würdiger Nachfolger. “
„Vielleicht habt ihr recht, doch eine alte Geschichte steht mir im Weg. Sie betrifft Haron, das neue
Oberhaupt der Friedhofs-Katzen. Er wird mir nie verzeihen. Ich bin schuld an dieser aussichtslosen
Situation. “
„Was ist geschehen, Francis? Erzähl es mir bitte. “
„Meister Fink, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. “
„Am besten am Anfang, und ohne etwas zu verheimlichen. Also, raus mit der Sprache, Francis. Was
ist geschehen? “
„Es war letzten Sommer, an einer warmen, klaren Sternennacht. Bat, Luy und ich waren den ganzen
Tag unterwegs. Später trennten sich unsere Wege. Sie gingen nach Hause, weil sie müde waren. Ich
hingegen war noch wach und beschloss, weiter umherzuziehen. Neugierig sprang ich auf die
Friedhofsmauer und balancierte vorsichtig darauf entlang.“
„Francis, du weißt doch, dass ihr den Friedhof nicht betreten dürft. Das ist das Abkommen zwischen
euren beiden Katzenfamilien. Keiner darf dem anderen in die Quere kommen. “
„Glauben Sie mir, Meister Fink, das war nicht meine Absicht. “ Doch als ich an der Mauer
entlangging, hörte ich plötzlich ein klägliches Wimmern. Ich blieb stehen und lauschte, um
herauszufinden, woher es kam. Das Weinen wurde lauter und führte mich zu einem großen Gebüsch
nahe dem ersten Tor des Friedhofs. Als ich hinuntersprang, um nachzusehen, entdeckte ich zwei
winzige Fuchsbabys. Mein erster Gedanke: Sie wurden zurückgelassen. Doch plötzlich stand ihre
Mutter hinter mir. Sie griff mich von hinten an, überzeugt, ich wolle den Kleinen etwas antun. Ich
konnte mich nicht wehren – alles geschah viel zu schnell.
Sie biss mir gerade in den Nacken, als plötzlich eine Katze auftauchte. Die sprang der Füchsin von
hinten auf den Rücken und schlug ihr mit der rechten Pfote ins Gesicht. Ihre scharfen Krallen ritzten
die Schnauze der Füchsin. Vor Schmerz verzerrt ließ sie sofort von mir ab. Gleichzeitig rannten die
Katze und ich davon. Erst als wir uns sicher fühlten, verlangsamten wir unser Tempo und gingen
schließlich. Da erkannte ich meine mutige Retterin: Fina, Harons Schwester. Eine wunderschöne
grau-schwarz gestreifte Katze – leider mit einem hochnäsigen Wesen. Sie fauchte mich lautstark
an(Fffhhh) und schrie.
„Was machst du hier? Du darfst diesen Ort nicht betreten. “ Ich bin Fina, Tochter von Rondo, dem
Anführer der Katzenhier, und Schwester von Haron, dem künftigen Anführer. Verlasse sofort den
Friedhof.
„Darf ich mich vorstellen? Ich heiße Francis. “
„Ich weiß, wer du bist“, fauchte sie. „Antworte lieber: Was wolltest du hier? “
„Fina, ich wollte den Friedhof nicht betreten, das schwöre ich. Ich hatte keine bösen Absichten, das
musst du mir glauben. Ich hörte das Weinen der kleinen Füchse, es klang hilflos. Ich dachte, sie
könnten meine Hilfe brauchen. Den Rest kennst du ja. “
„Das soll ich dir abnehmen, lieber Francis? “ Der Kater, der dafür bekannt ist, zu tun, was ihm
gefällt. Der Regeln ignoriert, als gäbe es keine. Der jeder Katze den Himmel verspricht, doch keine
hat ihn je bekommen. Du bist ein Herzensbrecher, nichts weiter.
„Miau (brrrh), bitte, Fina, lass das. Das ist lange her. Ich bin älter geworden, reifer. Ich suche den
Bund fürs Leben. “
„Ja, (miau, grrr), das glaubt man dir sofort, du Lügner. “
„Doch liebste Fina“, schnurrte (mhrrr) Francis, „trotz meiner Nackenschmerzen kann ich deine
Schönheit nicht übersehen. Dein Lachen, das dein Gesicht umrahmt, leuchtet heller als die Sonne.
Und deine Augen strahlen schöner als jede Blume, die hier auf dem Friedhof wächst. “
„Wow, Francis, du machst deinem Ruf alle Ehre. “
„Glaube mir, Fina, Komplimente sind Geschenke, die niemand zurückgibt, nicht einmal du. “
„Da hast du recht, lieber Francis. Lass mich deine Wunde sehen. “
„Oh, die fühlt sich gar nicht so schlimm an, dank meiner Lebensretterin. “
„Ja, zum Glück ist es nur eine leichte Verletzung. “
„Tja, mein übermotivierter, neugieriger Schüler. Diese Unachtsamkeit hätte dich das Leben kosten
können. Ist dir das klar? “
„Ja, Meister Fink. Doch in dem Moment dachte ich nur daran, dem kleinen, hilflosen Fuchs zu
helfen. Dabei vergaß ich die große Gefahr dahinter. “
„Zum Glück ging alles gut. Erzähl mir jetzt weiter von dieser aufregenden Geschichte, mein Schüler. “
„Ja, Meister Fink, wir spazierten die ganze Nacht über den Friedhof. “ Dabei spürten wir beide, dass
wir füreinander etwas empfanden. Sanft kuschelten wir uns aneinander und schnurrten (miau, mhrrr)
leise vor uns hin. Als der Morgen dämmerte, musste ich verschwinden – wegen ihres Bruders Haron.
Er kannte mich zwar nicht, hatte aber genug über mich gehört, um alles andere als
begeistert zu sein. Trotzdem trafen wir uns weiter, Nacht für Nacht auf dem Friedhof. Wochenlang.
Eines Abends kam es, wie es kommen musste: Haron suchte nach seiner Schwester und erwischte
uns beim Küssen. Er rastete völlig aus, schrie und überschüttete Fina mit üblen Beleidigungen.
Ich versuchte, ihn mit sanften Worten zu beruhigen und stellte mich mutig vor Fina. Doch das
machte ihn nur wütender. Er knurrte und fauchte (grrr, Fffhhh) aggressiv. Plötzlich sprang er mit
ausgefahrenen Krallen auf mich zu. Im letzten Moment wich ich aus. Instinktiv schlug ich mit beiden
Pfoten zu und traf Haron mit meinen scharfen Krallen heftig im Gesicht. Fina fauchte mich laut und
schrill (Fffhhh) an.
„Nein, Francis, was hast du nur getan? “ Mein Bruder ist jetzt schwer verletzt – deinetwegen. Geh,
Francis, geh zurück, woher du gekommen bist.
„Und das tat ich, mit gebrochenem Herzen. “ Seitdem habe ich nichts mehr von Fina oder ihrem
Bruder Haron gehört oder gesehen.
„Jetzt verstehe ich es, Francis, und habe Mitgefühl für deine Lage. Aber wie wirst du damit umgehen?
Verrätst du deiner Katzenfamilie dein Geheimnis? “
„Ich weiß es nicht, Meister Fink. “ Seit diesem Vorfall finde ich keinen klaren Gedanken und keine
Lösung.
„Francis, es ist Zeit, Frieden mit Haron zu schließen, bevor die Lage zwischen euren Familien
eskaliert. Schicke Bat, um ein Treffen zu arrangieren. Du musst den alten Streit beilegen. “
„Das würde ich gerne, doch scheint der Frieden fern. “
„Tu es einfach, Francis, die Sache muss geklärt werden. “
„Sie haben recht, Meister Fink, ich muss es versuchen. Ich schicke sofort Bat zu Haron. “
Bald kehrte Bat zurück, außer Atem und aufgeregt. „Francis,“ keuchte Bat, „Haron lässt ausrichten,
das Treffen soll heute Nacht um Mitternacht am Vorplatz des großen Friedhofstors stattfinden. “
„War er überrascht, als du ihm die Nachricht brachtest? “
„Nicht wirklich, Francis. Sein Grinsen war auffällig falsch. “ Und in seinem vernarbten Gesicht las ich
nur Rache. „Francis, sei vorsichtig. Er plant sicher etwas. “
„Ja, das dachte ich mir schon. Danke, Bat, dass du es mir gesagt hast. “
„Mein Schüler, du brauchst einen Plan. Wähle deine Worte mit Bedacht. “
„Ja, Meister Fink, ich werde mich gut vorbereiten. Am besten besprechen wir es gleich mit dem alten
Kater. “
Sie eilten sofort zum alten Kater, und Francis erzählte ihm, was letzten Sommer geschah. Gemeinsam
schmiedeten sie ein neues, durchdachtes und ehrliches Abkommen, das beiden Seiten die Ehre
bewahrte. Kurz vor Mitternacht brach Francis mit einigen Katzen der Familie zum Treffpunkt auf.
Bat, Luy und Meister Fink begleiteten ihn und wichen nicht von seiner Seite. Am Ziel erwarteten
Haron und seine Katzenfamilie sie bereits. Die Katzen um Francis stellten sich im Halbkreis, etwa
zehn Meter entfernt, auf. Haron und Francis traten allein in die Mitte des Vorplatzes. Francis legte
Haron den Vorschlag des neuen Abkommens vor, und es entbrannte eine heftige Diskussion. Die
versammelten Katzen beider Seiten wurden unruhig, liefen kreuz und quer über den Vorplatz,
hielten Augenkontakt und fauchten sich an. Dabei hörten sie die Stimmen der Anführer, die immer
lauter wurden.
„Miau (grrr) Francis“, ich werde deinen Vorschlag ablehnen. Hoffst du auf Vergebung, muss ich dich
enttäuschen. Sieh mein Gesicht an – das ist deine Schuld. Deshalb wirst du und deine Familie leiden.
Ich verzeihe dir nie, Francis.
„Miau (brrrh) Haron, aus dir spricht nur Hass und Rache. “ Dieser Hass zerstört unsere
Katzenfamilien. Was damals geschah, tut mir leid. Doch das betrifft nur uns beide, nicht die
Familien. Ich bitte um Frieden zwischen den Familien und dass die Revieraufteilung bleibt, wie
unsere Vorgänger sie beschlossen: Euch gehört der Friedhof, uns die Gartensiedlung.
Unerwartet schoss Meister Fink auf Francis zu und landete auf seinem Rücken. Leise flüsterte er ihm
ins Ohr:
„Vorsicht, mein Freund, am Himmel braut sich etwas zusammen. “
Trotz der Dunkelheit war die drohende Gefahr deutlich zu erkennen.
„Danke, Meister Fink, ich habe es schon bemerkt“, antwortete Francis.
Er rief Haron entsetzt zu:
„Schau hinauf, Haron! Woher kommen all diese Vögel? “
„Miau (grrr), ich weiß es nicht, Francis, aber das verheißt nichts Gutes. “
Plötzlich stürzten Raubvögel vom Himmel auf den Friedhofsvorplatz. Turmfalken, Habicht,
Mäusebussard und Sperber griffen die Katzen ohne Vorwarnung an. Aus allen Richtungen kamen sie
in Schwärmen heran. Mit Schnäbeln und scharfen Krallen versuchten sie, die Katzen zu verletzen.
Panik brach unter den Katzen aus, die mit ihren Pfoten die Angriffe abwehrten. Trotz Dunkelheit
gelang es den meisten gut. Francis rief zu Meister Fink:
„Was passiert hier, Meister Fink? Warum greifen uns die Vögel plötzlich an? “
„Wenn ich das nur wüsste, Francis. “ Noch nie sah ich so viele Raubvögel gemeinsam gegen ihren
Todfeind kämpfen. Es muss mit Haron und seiner Katzenfamilie zu tun haben.
„Miau (grrr) Haron, was hast du getan, dass die Vögel uns töten wollen? “
„Miau (brrrh) ich habe keine Ahnung, Francis. “
Unser Jagdtrieb, das Plündern der Nester und Töten der Jungvögel, dürfte schuld sein. Zwischen uns
und den Vögeln herrscht seit jeher Feindschaft, wie du weißt. Der Angriff rührt wohl von dieser alten
Feindschaft her, die wir auf dem Friedhof schon unser Leben lang erleben. Fina (Fffhhh), verdammt,
meine Schwester ist in Schwierigkeiten. Sie braucht meine Hilfe. Ich muss sofort zu ihr, um sie zu
schützen.
Haron rannte so schnell er konnte zu ihr. Er sprang die drei Turmfalken von hinten an, die gerade
auf Fina ein pickten. Plötzlich stießen zwei weitere Turmfalken dazu, und alle pickten gleichzeitig auf
Haron ein. Sie verletzten ihn schwer am Nacken und an der Brust. Fina schrie mit Tränen in den
Augen ängstlich und fauchend auf: „Hilfe, Hilfe, Haron braucht sofort Hilfe. “ Francis, bitte hilf
Haron. Der Kampf zwischen Vögeln und Katzen wurde heftiger, blutiger und brutaler, ohne
Rücksicht auf Verluste. Viele Katzen und Vögel lagen verletzt, teils blutig, am Boden. Francis hörte
Finas Hilferufe und rannte los. Er sprang auf die Turmfalken zu und biss mit seinen Zähnen in ihre
Körper. Die fünf Falken wurden teils schwer verletzt und ließen sofort von Haron ab.
Francis hob den schwer verletzten Haron auf die Schultern und rannte mit ihm zum alten Mann. Fina
folgte dicht hinterher und sicherte den Rückweg. Im Garten des alten Mannes angekommen, legte
Francis Haron vor die Tür. Dann sprang er so lange dagegen, bis der alte Mann öffnete. Francis und
Fina miauten laut, bis der Alte den blutenden Haron vor sich liegen sah.
„Ach du meine Güte, das sieht schlimm aus“, sagte er. „Ich muss die tiefen Wunden sofort reinigen
und nähen. Danach bleibt nur zu hoffen, dass er es schafft. Er hat sicher viel Blut verloren, der arme
Kerl. “ Murmelnd hob er Haron auf und trug ihn ins Haus. Fina wollte noch durch die Tür
schlüpfen, bevor sie zufiel. Doch plötzlich stellte sich der alte Kater ihr in den Weg.
„Francis (grrr, Fffhhh)“, wer ist diese Katze, die sich hier einschleichen will? Der alte Mann braucht
Ruhe, um den Kater zu retten. Diese Nervensäge kann er im Haus nicht gebrauchen.
„Das ist Fina (brrrh), Harons Schwester. “ Der Kater, den der alte Mann hereingetragen hat, ist
Haron. Bitte lass sie zu ihm, ich muss zurück, um den anderen zu helfen. Raubvögel greifen sie an.
„Was ist geschehen, Francis (Fffhhh)? Ich verstehe kein Wort. “ Fina kann natürlich zu ihrem
Bruder ins Haus, wenn sie möchte.
„Danke, alter Kater (brrrh), später erzähle ich dir alles. “
„Francis (mhrrr), sei vorsichtig und komm gesund zurück. “
„Das werde ich, Fina (mhrrr). Danach sorgen wir für Frieden zwischen den Katzenfamilien. “
Francis rannte, so schnell er konnte, zum Vorplatz des Friedhofs. Kaum war er in Sichtweite, kam
ihm Meister Fink entgegen.
„Langsam, Francis, der Kampf ist vorbei. Die Katzen haben tapfer gekämpft und den Sieg errungen.
Trotz ihres hinterhältigen Plans haben die Raubvögel verloren. Viele unserer Katzen sind verletzt,
aber keine ist gestorben. Wir müssen die Verwundeten in den Garten des alten Mannes bringen. Es
sind mehr, als ich befürchtet habe. “
Als Francis das Schlachtfeld sah, rief er:
„Freunde (grrrh), alle, die unverletzt sind, bringen die Verwundeten zum alten Mann. Luy, wie geht
es dir? “
„Mir geht es gut, Francis (mou), aber Bat ist verletzt. Ich bringe ihn sofort dorthin. “
„Ja, Luy, beeil dich! Die anderen kommen mit mir“, rief Francis.
Gemeinsam brachten sie die Verletzten in Sicherheit. Im Garten drängten sich bald Katzen beider
Familien, dicht an dicht, friedlich nebeneinander. Der alte Mann trat aus dem Haus und fuhr sich
über die Stirn.
„Oh Gott, wie soll ich so viele verletzte Katzen behandeln? Meine Medikamente reichen niemals für
alle. Es ist absurd –so viele Katzen in meinem Garten! “
Kurz darauf erschien Fina mit Sugar, dem alten Kater, hinter ihm. Francis wandte sich an sie.
„Fina (brrrh), wie geht es deinem Bruder? “
„Haron wird es schaffen, dank dir und dem alten Mann“, antwortete Fina. „Danke, Francis (mhrrr),
du hast ihm das Leben gerettet. “
„Das war mir eine Ehre und meine Pflicht“, entgegnete Francis. „Ich hätte es für jede Katze aus
beiden Familien getan. “
„Ich sehe viele verletzte Katzen, Francis. Haben wir den Kampf verloren? “
„Nein, Fina. Wir haben uns tapfer gewehrt und gesiegt. Doch wir Katzenfamilien müssen Frieden
schließen. Wir haben erlebt, wie schnell Gefahr drohen kann. Sobald es Haron bessergeht, suchen
wir gemeinsam nach einer Lösung. “
Es vergingen einige Tage, bis der alte Mann alle Katzen gesund gepflegt hatte. Schließlich konnten sie
an der großen Versammlung der beiden Katzenfamilien teilnehmen, die etwa zwei Wochen später
stattfand. Endlich begannen die ersehnten Friedensverhandlungen. Haron und Francis einigten sich
rasch.
Beide Katzenfamilien behalten ihr Revier, wie es seit jeher war. Gerät eine Familie in Gefahr, steht
die andere ihr bei. In guten wie in schweren Zeiten – so soll es sein. Seit jenem traurigen, aber
bedeutsamen Ereignis verbindet Haron und Francis eine besondere Freundschaft. Ein Jahr ist seither
vergangen. Fina und Francis sind heimlich ein Paar geworden. Sie treffen sich weiterhin jeden Tag –
mal am Friedhof, mal in der Siedlung, doch immer nur nachts, damit niemand sie bemerkt. Vor
allem Haron darf nichts erfahren.
„Francis (mhrrr), es wird Zeit, dass wir zu unserer Liebe stehen und es den anderen sagen. “
„Fina (mhrrr), ich habe kein gutes Gefühl dabei. Wegen Haron, du weißt schon. Im Moment
verstehe ich mich gut mit ihm und will die Freundschaft nicht gefährden. “
„Das musst du, Francis (brrrh), die Zeit drängt. “
„Wie meinst du das, Fina (mhrrr)? Ich verstehe nicht. “
„Francis, du Dummkopf (mou), ich erwarte Nachwuchs. “
„Nein (mhrrr), das ist doch ein Scherz. “
„Nein, mein Tiger (brrrh, mhrrr), wir werden Eltern. “
„Fina (mhrrr, brrrh), ich rufe sofort alle Katzenfamilien zusammen und erzähle es ihnen. “
Juhu, ich, Francis, der Tiger von Neugebäude, werde Vater (brrrh), juhu.
Schlusswort
Mit zunehmendem Alter erkennt man, dass nicht die Anzahl der Freunde zählt, sondern deren
Qualität.
Eine Kurzgeschichte aus Simmering
Andreas K.
(a Simmeringer Gschichdldrucka, wi´ra im biachl schdeht)

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