
Francis - Ein tierisches Theater
Hier, im imposanten Schloss Neugebäude mit seinem weitläufigen Garten, der Gartensiedlung und
dem angrenzenden Urnenfriedhof, leben zahlreiche frei laufende Tierarten. Die dort gewachsenen
Wäldchen bieten ihnen einen geschützten Rückzugsort. Manche Tiere, die sich regelmäßig hier
aufhalten, haben lebenslange Freundschaften geknüpft – jede mit ihrer eigenen Geschichte. Eine dieser
Geschichten gehört Francis, einer Tigerkatze, die seit vielen Jahren in der Gartensiedlung Neugebäude
zu Hause ist.
Er ist ein Kater von besonderer Art. Mit jedem Schritt zeigt er seinen Stolz, der in jeder Bewegung
mitschwingt. Er weiß genau, wie schön und kraftvoll er wirkt. Die Kätzchen der Umgebung suchen
fieberhaft nach ihm, in der Hoffnung, eine zärtliche Stunde mit ihm zu verbringen. Doch selbst wenn
eines sein Interesse weckt, hält es nie lange. Keine ist ihm auf Dauer gut genug. Früher oder später
weist er sie alle ab.
Bei den anderen Katern in der Nachbarschaft ist er nicht beliebt. Ihre Eifersucht auf den weiblichen
Andrang, den er auslöst, ist groß. Dennoch zollen sie ihm Respekt, denn er hat ein Kämpferherz.
Francis beschützt seine Freunde und steht jedem bei, der Hilfe braucht. Mut und Tapferkeit zeichnen
ihn aus. Deshalb nennen viele ihn Francis, den wagemutigen Kater.
Im Sommer hält er sich meist am Urnen-Friedhof auf. Dort lebt seit Jahren eine seiner besten
Freundinnen: das bezaubernde Waldhörnchen Sally. Sie ist ein wunderschönes, braunes Hörnchen
mit hochgestelltem, buschigem Schwanz. Sally ist flink, intelligent, hört gut zu und hat stets einen
Ratschlag parat. Ihre Baumhöhle liegt in einer dicken, hohen Birke mitten auf dem Urnenfriedhof.
Von dort überblickt sie den gesamten Friedhof und nimmt fast jedes Geschehen wahr. Trotz der
ungewöhnlichen Freundschaft, da Katzen zu den Fressfeinden der Eichhörnchen zählen, verbindet die
beiden eine tiefe Beziehung. Mehrere Erlebnisse haben sie stark zusammengeschweißt. Francis
schlendert am liebsten lässig auf der Friedhofsmauer hin und her, stets auf der Suche nach etwas
Aufregendem. Nur eine Schattenlänge dahinter hüpft Sally aufgeregt hinterher.
„Nicht so schnell, Francis, man kann dir kaum folgen. “
„Beeil dich, Sally, sonst verpasst du etwas. “ Wir müssen schnell zum anderen Ende der
Friedhofsmauer.
„Warum, Francis? Hast du etwas entdeckt? “
„Sieh nur, Sally. “
„Wow. “
„Ja, da staunst du. “
Sallys Augen wurden immer größer, als ein riesiger Lastwagen mit der Aufschrift „Wandertheater“ ins
Schloss einfuhr. Mitten im großen Hof, vor dem weißen Steinbrunnen, hielt er an. Vor Freude sprang
Sally in die Luft und machte einen Salto rückwärts. „Ein Theater, ja, ein richtiges Theater! “, rief sie.
„Vorsicht, Sally! Bei deinem Übermut könntest du leicht das Gleichgewicht verlieren und abstürzen. “
„Ich weiß, Francis, aber ich bin so aufgeregt! Bisher habe ich ein Theater nur von außen gesehen. Doch
das ändert sich jetzt – ich werde jede Vorstellung besuchen. “
„Das nehme ich dir sofort ab, Sally. Darf ich dich begleiten? “
„Natürlich! Wer würde nicht mit dem wagemutigsten Kater der Gegend ins Theater gehen wollen? “
Francis schnurrte zufrieden in seinen Bart, während er das charmante Kompliment genoss. Beide lagen
verträumt auf der Friedhofsmauer und beobachteten, wie das Theater in Windeseile entstand. Die
Theatergruppe arbeitete mit festem Zusammenhalt, jeder beherrschte seine Aufgabe. Die ausgelassene
Vorfreude auf die bevorstehende Aufführung war deutlich spürbar. Zum Schluss befestigten sie das
Schild *Tierisches Wandertheater* am höchsten Punkt der Bühne. Als Sally den Namen las, sagte sie:
„Francis, sieh nur – ein tierisches Wandertheater! “
„Tatsächlich! Doch was für ein spektakuläres Theater mag das wohl sein? “
„Das werden wir hoffentlich bald herausfinden, mein lieber Francis. “
Den Rest des Tages verbrachten sie damit, die Schauspieler zu beobachten, die ihr Stück ausgiebig
probten. Anschließend begannen die Vorbereitungen für die Abendvorstellung. Ein Verkaufsstand aus
Holz entstand: Sieben Holzelemente wurden zusammengesteckt, und schon stand er bereit. Bis oben
hin füllte man ihn mit Getränken und Süßigkeiten aus aller Welt. Es wirkte, als bereise das
Wandertheater die ganze Erde. Zumindest verrieten die Aufschriften auf den Speisen und Getränken
ihre exotische Herkunft.
„Schau nur, Francis, so viele fremde Schriftarten auf den Verpackungen von Speisen und Getränken –
so etwas habe ich noch nie gesehen. “
„Da hast du recht, Sally. Aber so belesen wie du bin ich nicht. “
„Mach dir nichts daraus, mein Freund. Im Moment bin ich selbst ein wenig ratlos. Ich dachte, ich
kenne viele Sprachen, aber jetzt wurde ich eines Besseren belehrt. “
„Sally, nimm es nicht so schwer. Für mich bleibst du der klügste Freund, den ich je hatte. “
„Ach, wie lieb du sein kannst, du schöner Kater. “
„Danke, Sally. Dein Kompliment freut mich sehr. “
In der Zwischenzeit verteilte eines der jüngeren Mitglieder der Theatergruppe Flyer, geschmückt mit
einem wunderschönen Theatermotiv und dem Schriftzug: „Die Stadtmusikanten aus Passamaquoddy“.
Mit dem Fahrrad durchstreifte er die Umgebung, bis er alle Flyer verteilt hatte und schließlich
zurückkehrte.
„Liebe schlaue Sally, erklär mir doch: Warum nennt man es tierisches Wandertheater, wenn es gar
keine Tiere gibt? “
„Ich weiß es nicht, Francis, aber ich lasse mich gern überraschen. Die Abendvorstellung wird uns sicher
reichlich Antworten liefern. “
Die Abenddämmerung brach langsam herein, und mit ihr trafen die ersten Gäste ein. Die meisten
steuerten direkt den Verkaufsstand an, um sich für die Vorstellung mit Getränken und Süßigkeiten
einzudecken. Ihre Augen weiteten sich, als sie die exotischen Süßigkeiten entdeckten. Keiner konnte
den verlockenden, unbekannten Köstlichkeiten widerstehen.
Dann suchten sie sich einen guten Platz. Sitzplätze gab es nur wenige, doch Stehplätze reichlich. Eintritt
wurde nicht verlangt, aber gegen eine Spende hatte das Theater nichts einzuwenden. Gleich neben dem
Eingang stand eine große Spendenbox, und die Besucher gaben großzügig. Sie verstanden, dass ein
Freiluft-Wandertheater viele Kosten hat. Bald waren alle Sitzplätze belegt. Der Andrang war groß, und
die übrigen Zuschauer mussten stehen. Sally und Francis jedoch machten es sich auf der Mauer
bequem. Nur ein Liegestuhl fehlte, um den Sommerabend im Freilufttheater perfekt zu machen.
Plötzlich läutete eine Glocke zweimal. Francis warf Sally einen bedenklichen Blick zu und fragte.
„Sally, warum läutet die Glocke? “
„Das signalisiert den Beginn des Theaterstücks. Schau, Francis, wie aufmerksam die Leute werden. “
„Ja, das sehe ich, Sally. “ Und wie still es wird, kein Flüstern mehr.
„Francis, es geht los, der Vorhang hebt sich. “ Hui, ich bin so aufgeregt, was für ein schönes Gefühl.
„Sally, beruhige dich, es ist nur eine Vorstellung. “
„Ja, ja, weil du schon eine gesehen hast. “
Das nicht, aber …
„Pssst, leise! “
Als sich der Vorhang vollständig öffnete, sprang plötzlich von rechts der Theaterdirektor hervor. Das
Publikum zuckte zusammen, zugleich ging ein überraschter Aufschrei durch die Menge. Mit lauter
Stimme rief er:
„Meine Damen und Herren, ich bin Dr. Termikus, Direktor dieses Wandertheaters. Ich heiße Sie
herzlich willkommen zu unserer Premiere: *Die Stadtmusikanten aus Passamaquoddy*. “
Ein tosender Applaus brach los, so laut, dass Sally kaum verstand, was Francis sie fragte.
„Sally, wo liegt Passamaquoddy? “
„Francis, ich verstehe dich kaum. “
„Sally, wo zum Teufel ist Passamaquoddy? “
„Meinst du das ernst, Francis? “
„Ja, Sally, ich habe keine Ahnung. Nie davon gehört. “
„Passamaquoddy ist ein kleines Fischerdorf in England. Es wurde durch einen Jungen bekannt, der
einen tollpatschigen, aber lustigen Drachen traf und einen Freund fürs Leben fand. “
„Wow, Sally, kommt das Wandertheater von dort? “
„Vermutlich, Francis, aber genau weiß ich es nicht. Jetzt sei leise, die Vorstellung beginnt. “
Ein Schauspieler im Fuchskostüm betrat die Bühne. Mit tiefer Stimme sang er ein lustiges Lied. Aus
der linken Ecke trat eine weiße Katze hinzu, die mit einer Flöte in der Hand das Lied begleitete.
Gleichzeitig hoppelte aus der rechten Ecke ein Hase herbei. Mit einer riesigen Trommel um den
Bauch schlug er den Takt. Das Publikum strahlte vor Freude, die Gesichter leuchteten vor
Begeisterung.
Ein Applaus folgte dem nächsten, der ganze Abend war ein Fest. Selbst Sally und Francis konnten sich
vor Lachen kaum halten und klatschten unermüdlich.
„So viel Beifall habe ich noch nie geklatscht, Francis. Meine Hände tun schon weh. “
„Mir geht es genauso, Sally. Besonders mein Brustkorb schmerzt vom vielen Lachen. Die Tierkostüme
sehen fantastisch aus. “
„Wie ich dir sagte, Francis, die Abendvorstellung wird alles klären. Jetzt wissen wir, warum das Theater
so heißt. “
„Ja, Sally, nach dieser tierischen Vorstellung verstehe ich den Theaternamen. “
Am Ende des Stücks verbeugten sich die Schauspieler lange. Das Publikum antwortete mit lautem
Applaus im Stehen.
„Sally, warum stehen alle beim Applaudieren? “
„Francis, so zeigt man den Schauspielern Anerkennung für ihre Leistung. “
„Oh“, ich verstehe, wir müssen auch im Stehen klatschen. Los, Sally, steh auf, beweg deinen Hintern.
„Ja“, schon gut, ich versuche, mich hochzustemmen. Die Vorstellung war lang, deshalb schmerzt mein
Rücken. Mit dem harten Untergrund auf der Mauer werde ich mich nie anfreunden. So wie du überall
faul herumliegst, das kann ich mit meinem zarten Körper nicht.
„Tja“, es reicht nicht, nur klug zu sein, Sally.
„Ha ha“, lustig war das nicht.
„Ja“, für dich nicht, ha ha ha.
„Komm, Francis“, lass uns nach Hause gehen, das Publikum zieht es auch heimwärts.
„Geh du nur heim, Sally, ich möchte noch die Nacht von hier oben genießen. “
„Gut“, bis morgen, Francis.
Sie umarmten sich, und Francis schnurrte, während er ihr ins Ohr flüsterte:
„Danke, Sally, für den lustigen Theaterabend. “
„Gern geschehen, Francis. “
Sally kehrte in ihre Baumhölle zurück. Francis hingegen spazierte noch auf der Friedhofsmauer. Als
er oben entlangging, sah er eine pechschwarze Katze mit gelben Augen und einem weißen Fleck auf
dem Schwanz. Sie schien ebenfalls den Friedhof zu umrunden, entlang eines geschotterten Wegs unten
an der Mauer. Francis schnurrte zu ihr hinunter:
„Miau (mhrrr), guten Abend, wundervolles Geschöpf. Ich bin Francis. “
Sie gurrte zurück:
„Miau (brrrh), guten Abend, mein Name ist May. “
„Oh“, sagte Francis, „was für ein entzückender Name, passend zu einer so wunderbaren Katze wie dir.
“
„Und dein Name ist wirklich süß, aber selten. “ Ich habe noch nie einen Kater namens Francis
getroffen. Ich bin erst kürzlich in Wien angekommen, doch hörte ich schon von einer Tigerkatze
namens Francis, die hier seit Jahren umherstreunt. Man sollte ihn meiden, diesen aufgeblasenen
Möchtegern-Casanova, dem kein Kätzchen gut genug ist. Du bist nicht dieser Francis, oder?
„Natürlich nicht, liebe May. Verrate mir lieber woher du kommst und was dich hier in diese Gegend
führt, schöne May? “
Ich komme aus dem schönen England und begleite ein Wandertheater, das derzeit um die Welt reist,
um sein neuestes Stück zu präsentieren. Heute Morgen erreichten wir nach langer Reise Wien.
Heute Abend hatte ich das Vergnügen, eure Vorstellung zu sehen. Das Theaterstück war wirklich
wundervoll. Was für ein bequemes Leben du führst, May! Ein Leben als fauler Vagabund scheint dir
zu gefallen. So würde ich auch gerne leben und die Faulheit genießen.
May fauchte zurück: „Warum bist du so beleidigend zu mir, du Scheusal eines unattraktiven Katers? “
Ich bitte dich, solche Beleidigungen zu unterlassen, meine Liebe. Ich wollte nur die Gemütlichkeit
deines Lebens ansprechen.
„Dann wähle deine Worte mit Bedacht, wenn du ein Charmeur sein willst. Andernfalls kratze ich dir
das linke Auge aus. Was für eine Frechheit, ich und ein Vagabundenleben. Ha, lächerlich! Du hast
doch keine Ahnung von meinem Leben. Sag mir, nutzen alle Kater in Wien so einen schrecklichen
Wortschatz wie du? “
„Verzeihung, My Lady, ich habe noch nie mit einer Dame aus England gesprochen. “ Aber jetzt
beruhige dich, lass es gut sein. Ich wollte dich wirklich nicht beleidigen. Das schwöre ich dir gern – mit
der Pfote. Zu deiner Frage: Ja, Wiener Katzen sprechen oft Wienerisch. Das ist ein alter Dialekt, der
für Fremde meist schrecklich klingt. Glaub mir, meine Liebe, ich spreche ihn nicht. Sonst hätten wir
sicher kein Wort mehr mit einander gewechselt.
„So schlimm kann eure Sprache wirklich sein? “
„Oh ja, liebste May, viel schlimmer, als du es dir vorstellen kannst. “
„Verzeih mir, Francis. Es tut mir leid, dass ich dich angefaucht habe. “ Ich wollte dir weder drohen
noch dir wehtun.
„Alles gut, meine Liebe. Es war meine Schuld. “ Meine Worte waren falsch gewählt, und dafür möchte
ich mich aufrichtig entschuldigen.
„Entschuldigung angenommen, Francis. “
„Liebe May, darf ich mich an dich schmiegen? “ Dein Duft ist so betörend, ich möchte ihn noch
intensiver wahrnehmen.
„Aber nur, wenn du nicht zu fest drückst – und wenn es beim Schmiegen bleibt, du Herzensbrecher. “
Kaum hatte May das gesagt, sprang Francis von der Friedhofsmauer. Er lief neben ihr her und
schmiegte sich, laut schnurrend (mhrrr), in ihren schwarzpelzigen Nacken.
„Miau (brrrh)“, oh, das tut gut, mein Tiger. Es ist lange her, dass ich mich so wohl gefühlt habe.
„Mir geht es genauso, meine Liebste. Komm, May, lass uns auf die Mauer springen und die Sterne
betrachten. An so einer klaren Sommernacht sieht man sie besonders gut. “
„Eine wunderbare Idee, Francis. “
Fast gleichzeitig sprangen sie auf die Friedhofsmauer.
„Wow, was für ein Anblick! Von hier oben wirken die Sterne so nah, als könnte man sie berühren.
Nun, Francis, du Romantiker, erzähl mir etwas über die Sterne. Ein schwärmerischer Kater wie du
weiß doch bestimmt einiges über ihre Geheimnisse, oder? “
„Meine Liebste, machen wir es uns hier gemütlich. “ Wir legen uns auf den Rücken und blicken in den
Sternenhimmel. Öffne deine wunderschönen gelben Augen soweit du kannst. Wir kuscheln uns eng
zusammen, spitzen die Ohren und lauschen meiner Stimme. Schau in die Mitte des Himmels: Dort
liegt das Sternbild des Drachen. Rechts davon siehst du den großen Bären, links daneben strahlt der
kleine Bär. Rechts ist der Löwe gut zu erkennen. Ein wenig darunter befindet sich der Rabe, den kaum
jemand kennt. Weiter links siehst du den Skorpion. Links oben leuchtet der wundervolle Schwan.
Liebe May, das sind alle Tiersternbilder, die wir jetzt sehen können.
„Oha“, dachte ich, „Francis, da staune ich. Ich war sicher, du hast keine Ahnung von Astrologie. Ich
habe dich völlig unterschätzt, wenn es wirklich um diese Tierkreiszeichen geht. Aber so überzeugend,
wie du es erzählst, kann es doch keine Lüge sein, oder? “
„Oh nein, meine liebste May, ich würde dich niemals anlügen. Und ich verrate dir noch etwas: Es gibt
angeblich 88 Sternbilder. Wie sie alle heißen, weiß ich leider nicht. Mein Traum wäre es, mit einem
Raumschiff den Mond zu besuchen. Auf dem Weg dorthin könnte ich den Sternbildern ganz nah sein.
Hast du auch Träume, meine liebste May? “
„Das hier, dieser Moment mit dir, ist wie ein Traum für mich, Francis. Miau (brrrh), hier mit dir zu
liegen, ist einfach wunderschön und unglaublich romantisch. Ganz eng an dich gekuschelt in den
Sternenhimmel zu schauen – (brrrh) fabelhaft. “
„Oh May, du bist wundervoll, gebildet und schön.“ „Eine Katze wie dich habe ich noch nie getroffen.
“
„Danke für die Komplimente, Francis“, schnurrte May. „Findest du auch, dass der Mond heute
besonders hell scheint, oder bilde ich mir das nur ein? “
„Du hast recht, May, es sei denn, es ist eine optische Täuschung“, antwortete Francis. „Der Mond kreist
um die Erde, und beide um die Sonne. Wir sehen ihn nur, weil seine staubige Oberfläche das
Sonnenlicht reflektiert. Es klingt unglaublich, aber so wurde es mir erzählt. Ebenso, dass Sirius der
hellste Stern am Nachthimmel ist. “
„Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, Francis. Es ist unglaublich, was du mir erzählst. Miau, was
für ein außergewöhnlicher Kater du bist – so klug und gut erzogen. “
„Danke“, schnurrt Francis. „Deine Bewunderung macht mich stolz. Sieh schnell nach oben, May –
eine Sternschnuppe! “
„Ja“, sage ich und schnurre leise. „Sie ist himmlisch schön. Francis, du darfst dir etwas wünschen, du
hast sie zuerst gesehen. Ich hoffe so sehr, dass dein Wunsch in Erfüllung geht. “
„In Ordnung, May“, antwortet er. „Dann wünsche ich mir etwas. Bald werden die Sterne den Himmel
in mattes Licht tauchen. Dabei möchte ich dich in meinen Armen halten und dich küssen. “
„Francis“, sage ich überrascht. „Mit so einem Wunsch hätte ich nicht gerechnet. “
„Meine liebe May, der Moment ist da. “ Der Himmel schimmert matt, die Zeit ist gekommen.
„Miau“, (brrrh) Miau. Dein Wunsch, Francis, liegt mir am Herzen. Er soll wahr werden.
May schloss die Augen. Francis beugte sich über ihren Körper, küsste sie mit einer Zärtlichkeit, die ihr
Herz erbeben ließ. Der Kuss dauerte so lange, dass May kaum noch Luft bekam. Sie schrie auf.
„Fran, Francis! Lass mich atmen, ich ersticke! “
„Verzeih mir, May. “ Seine Stimme bebte. „Meine Gefühle für dich überwältigen mich. Du machst
mich wahnsinnig, raubst mir den Verstand. Ich liebe dich. “
„Was ist los, mein Tiger? “
„Ja, May, ich fühle es – du bist meine große Liebe. “
„Francis, wir kennen uns doch kaum. Wie kannst du da von großer Liebe sprechen? “
„Doch, liebste May, genauso ist es. “
Immer wieder rief er laut in den Himmel: „Ich liebe dich über alles! “ Da schallte plötzlich eine Stimme
durch die Nacht:
„May, bist du das? May, wo steckst du? May, mein Liebling, komm rein, es ist schon spät! “
„Wer ist das, May? “, fragte Francis.
„Pssst“, sei leise, Francis, der Theaterdirektor ist da. Du musst wissen, Dr. Termikus hat mich gerettet
und gesund gepflegt. Er fand mich in einem erbärmlichen Zustand, dem Tode nahe. Kaum
ansprechbar lag ich unter seinem Lastwagen. Ich verdanke ihm mein Leben und möchte ihm treu
bleiben. Egal, wohin es ihn mit seinem Theater zieht, ich werde ihm folgen.
„Nein, meine Liebste, bleib bei mir. “ Ich bitte dich, mein Kätzchen für immer zu werden. Wir könnten
hier in den kleinen Wäldern des Schlossgartens leben und unsere Babys großziehen.
„Es tut mir leid, Francis, ich habe auch Gefühle für dich. Doch muss ich heute früh mit dem Theater
weiterziehen. Die Reise geht nach Rom, die Hauptstadt Italiens. Aber das weißt du sicher. “
„May, bitte nicht, Italien ist so weit weg. Wir sehen uns vermutlich nie wieder, das zerreißt mir das
Herz. “
„Francis, mach es mir nicht so schwer. Ich kann die Sicherheit nicht aufgeben, um die Freiheit zu
gewinnen – am Ende verliere ich vielleicht beides. Doch eines will ich dir noch sagen, bevor ich gehe:
Hätten wir uns unter anderen Umständen getroffen, wärst du meine erste Wahl gewesen. “
May drehte sich um, Tränen liefen über ihr Gesicht, und lief direkt in die Arme von Dr. Termikus.
Gemeinsam zogen sie sich in den Lastwagen zurück. Francis rief ihr noch verzweifelt nach:
„May, komm zurück! Bitte, May, bleib bei mir! “
Doch niemand hörte mehr auf seine Stimme. Mit Tränen in den Augen saß er auf der Friedhofsmauer
und blickte auf den Lastwagen, der gerade den Motor startete. May schaute noch einmal aus dem
Fenster und winkte ihm zu. Sie rief:" Träume nicht dein Leben, Francis, sondern lebe deinen Traum."
Der Lastwagen rollte langsam aus dem Schlosshof und fuhr Richtung Italien.
"Miau, seufz, May, verlass mich bitte nicht. Miau, stöhn, bleib hier, May. Miau, ächz, bitte, May, bitte,
bitte."
"Francis, hey Francis, wach auf, du Faulpelz! Verflucht noch mal, Francis, wer ist bitte May?"
"Was ist los? O weh, wer stört meinen Schlaf? Was willst du von mir?"
„Francis, ich bin’s, Sally. Wach auf! Du träumst wieder so heftig und fuchtelst wild um dich. Wach auf,
Francis, wach auf! “
„Schon gut, Sally, ich bin wach. “ Verdammt, wieder nur ein Traum. Aber diesmal fühlte er sich so
echt an, als wäre er wirklich passiert.
„Ich verstehe nicht, Francis, wie du mit deinem dicken Pelz bei dieser Hitze schlafen kannst. Und das
mitten am Nachmittag, in der prallen Sonne. Wahrscheinlich hast du dir einen Sonnenstich
eingefangen. “
„Du weißt doch, Sally, die Hitze stört mich nicht. “ Und außerdem
„Warte, Francis“, hörst du das? Was ist das nur?
„Ja“, ich höre es auch, Sally, aber ich weiß nicht, was es ist.
„Wow“, ich glaub's nicht, sieh nur, Francis, was da auf uns zurollt.
„Was denn? Was kommt da so schnell angerollt? “
„Ich glaube, Francis, es ist ein Theater auf Rädern. Ja, fabelhaft, ein Wandertheater! “
„Nein“, das kann nicht sein, Sally, du träumst. Nein, nein, ausgeschlossen, nie im Leben.
„Ich“, träum nicht, Francis, schau einfach genau hin.
„Sally“, wie heißt dieses Theater? Ich kann den Namen nicht lesen.
„Warte kurz, gleich sehe ich es. “ Es heißt Tierisches Wandertheater.
„Nein, das kann nicht sein! Verdammt, jetzt verliere ich den Verstand. Das glaubt mir keiner, Sally. Ich
muss dir etwas erzählen.
Tut… Tu… Tut…
Schlusswort
Die ohne Schuhe gehen jeden Weg mit uns. Die nichts versprechen, enttäuschen nicht. Die nichts
besitzen, geben dennoch alles. Die sind treu und echt tierisch.
Kurzgeschichte aus Simmering
Andreas K.
(a Simmeringer Gschichdldrucka, wi´ra im biachl schdeht)