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Eine Seele für die andere

Das Leben ist schwer genug. Dann trifft einem nach 30 Jahren Ehe plötzlich ein Schicksalsschlag. Der Verstand mahnt zwar, dass das Glück nicht ewig währt und irgendwann etwas Schreckliches geschieht, das einen aus der Bahn werfen kann. Man versucht, sich darauf vorzubereiten. Doch wenn es so weit ist, gerät alles ins Wanken. Es fühlt sich an, als würde der Boden unter den Füßen wegbrechen. Alles entgleitet, und man fragt sich: Warum jetzt? Doch der Zeitpunkt lässt sich nicht ändern – er ist eine unumstößliche Tatsache.

Die meisten Menschen erleiden ein psychisches Trauma, eine seelische Verletzung, aus der sie ohne Hilfe nicht mehr herausfinden. Der Mann, von dem ich erzählen möchte, konnte sein normales Leben nicht mehr führen. Er war ein gewöhnlicher Ehemann mit einem einfachen Familienleben, bis er plötzlich alles verlor. Wie ein Blitz traf ihn das Unglück. Eines Tages erschien unerwartet die Polizei an seinem Arbeitsplatz und berichtete, dass seine Frau bei einem Verkehrsunfall gestorben war. Sie erlag noch am Unfallort ihren schweren Verletzungen. Er musste sich setzen, sein Körper zitterte, und seine Nerven versagten.

Kein Wort verließ seine Lippen in diesen schweren Minuten. Mit gesenktem Kopf starrte er auf den Boden. In diesem Moment verstand er die Welt nicht mehr. Alles, was sie ihm einst bedeutete, brach zusammen. Sein Ein und Alles, der wichtigste Mensch in seinem Leben, war fort. Die Person, mit der er alles teilte und noch so viel vorhatte, hatte ihn für immer verlassen. Nach einer Weile, gefasst und nachdenklich, folgte er den Anweisungen der Polizei. Sie brachten ihn zur Gerichtsmedizin, um seine Frau zu identifizieren.

Dort angekommen, stellte man ihm sofort einen Seelsorger zur Seite, der sich rücksichtsvoll und behutsam um ihn kümmerte. Doch in seinem Zustand nahm er dies kaum wahr. Als man ihm seine Frau zeigte, röchelte er mit schmerzverzerrter Stimme:
"Ja, das ist meine Frau."
Immer wieder fragte er verzweifelt:
"Warum meine Frau, warum nur? Sie war ein guter Mensch, sie hat es nicht verdient, so zu sterben."
Mit vereinten Kräften rissen sie ihn von ihr los, denn er umklammerte sie und legte sein Gesicht auf ihres. Unter Tränen und heftiger Gegenwehr gab er schließlich nach. Anschließend brachten sie ihn nach Hause, in das Haus, das er mit seiner Frau geteilt hatte. Als die Polizei sich verabschiedete und das Haus verlassen wollte, rief er ihnen nach.

 

„Zurück blieben jene, deren Leben nie wieder wie zuvor sein würde.“

Zwei Tage waren vergangen, ohne dass er etwas aß oder trank. Schließlich fasste er all seinen Mut zusammen und machte sich auf den Weg zur Bestattung. Kraftlos kam er dort an und erledigte die Formalitäten für ein ordentliches Begräbnis. Danach schleppte er sich erschöpft nach Hause und blieb dort bis zum Tag der Beerdigung, ohne die Tür ein einziges Mal zu öffnen. Die meiste Zeit lag er im Bett. Seine frühere Lebensfreude war fast völlig verschwunden. An Essen dachte er nicht mehr, nur ein wenig Wasser trank er noch. So verharrte er, bis der Tag kam, an dem er sein Ein und Alles zu Grabe tragen musste. Da beide kaum Verwandte hatten, mit denen sie gut standen, beschloss er, niemanden einzuladen – weder Verwandte noch Freunde.

„Sie hatten zu Lebzeiten kein Interesse an ihr, warum sollten sie es jetzt haben? “, murmelte er trotzig vor sich hin.

So kam es, dass nur er die Beerdigung am Urnenfriedhof in Wien Simmering besuchte und ihr die letzte Ehre erwies. Als die Urne ins Grab gesenkt wurde, begann es leicht zu regnen. Viele hätten gesagt, die Engel weinten um sie. Doch er blickte hinauf und rief:

 

"Ihr seid schuld! Ihr habt sie mir genommen, obwohl ihr es hättet verhindern können. Darum verfluche ich euch alle und werde nie mehr an euch glauben."

Diese Worte trafen die Verantwortlichen der Seelenwelt tief, denn sie empfanden sie als ungerecht. Sie tun alles, um das Gleichgewicht zu wahren. Wir sind weder oben noch unten, sondern mitten unter euch Menschen. Wir nennen es die Zwischenwelt – genauer gesagt: zwischen euch. Nur wenige von euch Lebenden können uns sehen oder mit uns sprechen. Für den menschlichen Verstand, für sein natürliches Urteilsvermögen, wäre das schwer zu begreifen. Es könnte bei vielen psychische Probleme auslösen – oder sogar tödlich enden.

Nachdem er den Fluch ausgesprochen hatte, schloss er zusammen mit dem Bestatter das Grab. Dann ging er direkt in das Haus, in dem er von nun an allein lebte. In den folgenden Tagen wirkte er wie in Trance, gefangen in einem Zustand geistiger Verwirrung. Abwesend, regungslos, fern jeder Normalität. Die Bilder seiner Frau, die die Wände schmückten, linderten seinen Schmerz nicht. Im Gegenteil: Immer wieder ertappte er sich bei dem Gedanken, allem ein Ende zusetzen.

 

„Für wen soll ich noch weitermachen? “, schrie er sich selbst an. „Für wen den Schmerz ertragen? “

Doch mit einem Funken Hoffnung auf Besserung hörte er sofort mit dem Geschrei auf. Aber die Angst vor sich selbst blieb. Vier Wochen später versuchte er, wieder zu arbeiten. Nach drei Tagen gab er auf. Der Schmerz des Verlustes nahm ihm jede Kraft, er ließ es nicht zu. Das Einzige, was er noch schaffte, war der Gang zum Friedhof. Jeden Tag ging er, vom Schmerz überwältigt, zum Grab seiner Frau. Dort zündete er jedes Mal eine Kerze für sie an. Doch obwohl ihr Name in Stein gemeißelt war, spürte er sie nicht. Keine Verbindung zu ihr, und er verstand nicht, warum. Er saß nur da, starrte ins Nichts. Tief in ihm wuchs die Gewissheit: Sie kommt nicht zurück.

Die Frau, mit der er nie stritt und doch alles klärte, lebt nicht mehr. Er konnte dieses schreckliche Ereignis nicht verarbeiten. Am liebsten wäre er selbst tot, flüsterte er ständig vor sich hin. Jeden Tag betete er, sofort zu sterben, um im Himmel wieder mit seiner Frau vereint zu sein. Die Zeit verging langsam, und der Winter zog ins Land. Die Temperaturen sanken tief in den Frostbereich. Trotzdem hielt ihn nichts davon ab, den Friedhof zu besuchen. An einem eiskalten Wintertag suchte er erneut das Grab seiner Frau auf. Wie immer führte er Selbstgespräche, den Blick auf den Grabstein gerichtet. Trotz der eisigen Kälte saß er stundenlang neben dem Grab und sprach mit ihr. Selbst die Dämmerung konnte ihn nicht vertreiben.

„Mit fester Überzeugung sprach er zu ihr: Auch wenn sich jetzt die Tore des Friedhofs schließen, diesmal bleibe ich für immer bei dir, mein Liebling. “

In jener Nacht gab er auf, in der Hoffnung, seine Frau wiederzusehen. Er erfror im Sitzen neben ihrem Grabstein, mit dem er sprach, bis er in der eisigen Kälte vor Müdigkeit einschlief und nicht mehr erwachte. Sekunden später verließ seine Seele den Körper, in dem sie Jahrzehnte verweilt hatte, um in die sogenannte Zwischenwelt zu wandern. Ein Seelenbegleiter wartet dort normalerweise auf frische Seelen. Doch niemand kam, um seine verwirrte Seele in die vorgesehene Seelenwelt zu führen. Denn die Lebenden wissen nicht: Wer selbst schuld an seinem Tod ist, wird nicht ins Licht des Guten geleitet. Der Seelenbegleiter nimmt nur unschuldige Seelen mit.

Doch ihn würde ein Seelenfänger holen, ein Diener des Bösen. Anders als der Seelenbegleiter, der das Gute unterstützt, jagt der Seelenfänger schuldige Seelen. Er fängt sie ein und bringt sie in die dunkle Nebenwelt der Bestrafung, wo sie für ihre Sünden büßen. So blieb er ahnungslos auf dem Urnenfriedhof zurück. In jener Nacht begegnete ich ihm. Ich bin nur eine unbedeutende, sogenannte reife Seele, die seit Jahren in der Zwischenwelt feststeckt. Es gelingt mir nicht, in eine höhere Ebene aufzusteigen.

Immer wieder vertrösten sie mich, ich sei noch nicht bereit. Ich solle mich gedulden, um die nächste Ebene zu erreichen. Doch das Warten habe ich satt. Ich will zurück in die Welt der Lebenden. Im Lichttunnel bemerkte ich einen Nebelschleier, durch den man sich davonschleichen kann, wenn man schnell genug ist und die Wächter es nicht bemerken. Oft verspürte ich den Drang, zurückzukehren, um meine Neugier auf die alte Welt zu stillen. Doch die Gelegenheit bot sich nie. In dieser Winternacht sah ich meine Chance – und siehe da, es gelang.

Kaum am Urnenfriedhof angekommen, sah ich ihn. Er wirkte leicht verstört und suchte wohl den Lichttunnel. Auffallend, aber schnell huschte er zwischen den Gräbern hin und her.

„Hallo“, sprach ich ihn an, „bist du eine kürzlich verstorbene Seele? “

„Ich weiß es nicht“, antwortete er, „denke aber schon. So wie mein Körper regungslos daliegt, bin ich wohl tot. “

„Ja, du bist verstorben“, bestätigte ich. „Du hast deinen menschlichen Körper verlassen. Ich weiß nur nicht, wie lange das her ist. Du wirkst etwas verwirrt. Suchst du etwas Bestimmtes? “

„Ja“, sagte er, „ich bin sehr desorientiert und suche ein Licht. Einige riefen vorher, ich solle ins Licht gehen. “

„Das ist richtig: Neue Seelen müssen in den Lichttunnel gehen. Doch nur jene, für die er bestimmt ist, dürfen ihn durchqueren, um auf die andere Seite zu gelangen. Schaffen sie es nicht – aus welchem Grund auch immer –, müssen sie vorerst hier bleiben. Für dich, so scheint es, war der Weg durchs Licht nicht vorgesehen. Du trägst offenbar Schuld an etwas, das schwer auf dir lastet. Hast du jemandem Leid zugefügt? “

 

„Nein“, antwortete er, „ich habe nie einen Menschen verletzt oder ihm geschadet. “
 

„Wie bist du dann gestorben? “
 

„Ich habe mich selbst aufgegeben“, sagte er. „Ich blieb am Grab meiner Frau sitzen, obwohl ich wusste, dass ich erfrieren würde. Die Kälte hat mich schließlich getötet. “
 

„Jetzt kennen wir den Grund, warum dir der Lichttunnel verwehrt blieb. “
 

„Aber ich muss unbedingt hindurch“, entgegnete er, „ich suche jemanden. “
 

„Wen suchst du so verzweifelt? “
 

„Die Seele meiner verstorbenen Frau. “

„Tja“, es sieht so aus, als müsstest du in die Nebenwelt der Bestrafung. Wer seinem Leben ein Ende setzt, darf nicht durch den Lichttunnel wandern.

„Heißt das, ich kann die Seele meiner geliebten Frau nicht sehen? “

„Ja“, so wird es wohl sein. Ich rate dir dringend, dich unauffällig zu verhalten. Ein Seelenfänger könnte jeden Moment auftauchen und alles daran setzen, dich zu fangen und in die Nebenwelt zu bringen.

„Bitte, hilf mir. Der Seelenfänger darf mich nicht erwischen, sonst war mein Tod umsonst. “

„Vermutlich wird es so sein“, sagte ich, denn dem Seelenfänger entkommt keine schuldige Seele. Trotzdem helfe ich dir, aber wie, darüber muss ich noch nachdenken.

„Beeile dich bitte“, bat er, als ein unheimlicher dunkelgrauer Nebel aufzog.

„Vorsicht, frische Seele“, warnte ich, „wir müssen uns dringend verstecken. Im Nebel verbirgt sich der Eingang zur Nebenwelt, aus der der Seelenfänger bald erscheinen wird. “
Schnell huschten wir zu einer nahen Urnengruft, die von dichtem Gestrüpp überwuchert war und uns so perfekten Schutz bot.

„Da“, flüsterte ich, „sieh nur, der Seelenfänger ist angekommen. “

„Verdammt“, murmelte er, „der sieht bösartig und gefährlich aus. “

„Ja, frische Seele“, bestätigte ich, „er strahlt eine bedrohliche Boshaftigkeit aus, die einem Angst einjagt. “

Obwohl ich tot bin, kann ich ihn kaum ansehen. Die Angst vor ihm würde mich sofort schreien lassen. Doch ich verstehe es nicht: Bin ich wirklich tot oder nicht?
„Ja, das bist du, frische Seele“, sagte ich. „Aber nur dein menschlicher Körper ist gestorben. Deine Seele spürt keine Schmerzen mehr, doch Angst, Leid und Qual bleiben – auf eine ganz eigene, grausame Weise. “
Je tiefer man in die Nebenwelt hinabsteigt, desto schlimmer wird es. Meist endet es in lautem Klagen, gequältem Jammern und verzweifeltem Geschrei. So finster ist die Verzweiflung des Verderbens, die die Seelen der Sünder erwartet.

„Nein“, bitte, lass es nicht so enden. Hilf mir, dem Seelenfänger zu entkommen.

„Pst, leise, frische Seele“, flüstert ich im zu. „Der Seelenfänger ist ganz nah. Je mehr Angst du hast, desto heller leuchtest du. Er spürt deine Furcht und sieht dein Licht – genauso wie er jedes Geräusch wahrnimmt. Wir müssen still bleiben und die Angst unterdrücken, so gut es geht. “

 

„Woher weißt du das alles? “, fragte er.
 

„Frische Seele, ich bin eine reife Seele. Ich habe lange in der Zwischenwelt gelebt. Uns wurde viel über die dunkle Nebenwelt erzählt. Jeder meidet sie, denn wer einmal dort ist, bleibt gefangen – für immer. “
 

„Reife Seele, ich muss einen Weg finden, um zu meiner Frau zu gelangen. Irgendwie muss ich den Lichttunnel erreichen, egal, was es kostet. “

„Ja, ich verstehe dich, frische Seele, und habe großes Verständnis. Doch auch ich muss zurück. In der Zwischenwelt zählen sie regelmäßig die Seelen. Dort, wo ich normalerweise bin, achten sie streng auf die Regeln. Sie merken sofort, wenn jemand fehlt, und klären es schnell auf. Danach folgt die Bestrafung, oft mit einem Verstoß in die Nebenwelt. Meine Aussichten sind also nicht rosig. Deshalb müssen wir beide den Lichttunnel erreichen. “

„Aber wie, reife Seele, wie? “

„Beruhige dich, frische Seele. Denke an etwas Wohltuendes, sonst verrät uns dein Lichtschein. “

„Wenn ich das nur könnte! Die Angst, die Seele meiner Frau nie wiederzusehen, ist zu groß. In meinem Zustand wächst die Verzweiflung, reife Seele. “

„Ganz ruhig“, es ist noch nicht zu spät. Wir müssen den richtigen Moment abpassen und dann alles riskieren. Doch die Zeit wird knapp.

„Was meinst du, reife Seele? Was bedeutet das für uns? “

„Es bedeutet“, wir haben nur diese Nacht, um den Lichttunnel zu erreichen. Sonst endet es wahrscheinlich schlecht für uns beide.

„Fabelhaft reife Seele“, uns erwarten großartige Aussichten.

„Pst, leise, frische Seele“, wir müssen sofort Schutz in der dunklen Ecke suchen. Der Seelenfänger kommt gleich nah vorbei.

Kurz darauf, mit rasselndem Geräusch und keuchendem Atem, huscht sein Schatten an uns vorbei. Er wirft uns furchteinflößende Blicke zu, seine hässliche Fratze blitzt kurz durch eine Öffnung in der Urnengruft.

„Oh“, ich bin erleichtert, reife Seele, er ist weitergezogen.

„Ja“, er ist fort, doch er wird bald zurückkehren. Er sucht, bis er dich findet.
Verflucht, sieh nur, frische Seele, ein Lichttunnel öffnet sich.

„Ja, reife Seele“, lass es uns versuchen, ihn zu erreichen.

„Nein, frische Seele“, der Lichttunnel ist zu weit weg.

„Doch bitte“, wir müssen ihn erreichen, das könnte unsere letzte Chance sein.

„Nein“, nicht voreilig handeln, das wäre unser Untergang. Bis wir ihn erreicht hätten, würde er sich schon wieder schließen. Außerdem wären wir leichte Beute für den Seelenfänger. Er ist viel näher am Lichttunnel als wir. Gerade jetzt dürfen wir nicht ungeduldig werden. Die Nacht ist zwar kurz, doch der richtige Moment wird kommen. Bitte vertraue mir und überstürze nichts, nur gemeinsam können wir es schaffen.

„Du hast recht“, verzeih mir. Die Dummheit ließ mich die Gefahr fast übersehen, das hätte böse enden können.

Wir warteten weiter auf die nächste Gelegenheit und hielten Ausschau nach dem Lichttunnel. Doch der Seelenfänger störte uns erneut, indem er sich in unserer Nähe auf die Lauer legte. So nah, dass wir die Gruft nicht verlassen konnten, ohne entdeckt zu werden. Die frische Seele neben mir wurde zunehmend unruhig. Die Angst, es in dieser Nacht nicht zu schaffen, wuchs in ihm. Meine beruhigenden Worte erreichten ihn nicht mehr. Man sah ihm an, dass er vor Verzweiflung gleich explodieren würde. Da drang plötzlich ein heller Lichtschein in die Gruft, und er schrie auf.

„Ein Lichttunnel“, rief er, „jetzt oder nie. “ Sofort huschte er so schnell er konnte aus der Urnen-Gruft in Richtung Lichttunnel.

„Nicht ! “, rief ich der frischen Seele nach, doch sie war schon aus der Gruft. Ich folgte ihr, so schnell ich konnte. Auch der Seelenfänger jagte hinterher, immer näher kam er. Kurz bevor die frische Seele den Lichttunnel erreichte, packte der Seelenfänger sie mit seinen grausigen Krallen. In diesem Moment dachte ich nur: Die frische Seele wird den Lichttunnel nicht erreichen. Entschlossen rammte ich den Seelenfänger mit aller Kraft. Mit Schwung stieß ich ihn von hinten zur Seite, und die frische Seele entkam seiner Umklammerung. Gleichzeitig bohrten sich seine scharfen Krallen in mich, und wir flogen unaufhaltsam am Lichttunnel vorbei. So konnte die frische Seele ungehindert eintreten. Bevor er es tat, blickte er zurück, wissend, dass es für mich keine Rettung gab. Mit einer Stimme voller Dankbarkeit rief er mir zu.

„Danke“, reife Seele . Du hast dich für mich geopfert, vielen Dank. Das werde ich dir nie vergessen. Alle Seelen in der Zwischenwelt werden von dieser Geschichte hören: Wie aus einer reifen Seele ein Held wurde. Denn das bist du für mich– und das wirst du immer bleiben. Danach schloss sich der Lichttunnel hinter ihm. Ich hörte nie wieder von ihm. Aus eigener Kraft konnte ich nicht mehr in die Zwischenwelt zurückkehren. Die Stärke des Seelenfängers war zu groß. Er verbannte mich in die Nebenwelt der Bestrafung, tief hinunter, zu den schlimmsten Seelensündern. Nur die Hoffnung hält mich in diesen Qualen am Leben. Die Hoffnung, dass mir eines Tages jemand zuflüstert, die frische Seele habe es in die Zwischenwelt geschafft – und dort seine geliebte Seele gefunden. Erst dann werde ich Frieden finden, mit mir und mit allem anderen.



 

 

Schlusswort
Eine Freundschaft stärkt die Seele, doch die Liebe heilt sie vollkommen.



 

Kurzgeschichte aus Simmering
         

Andreas K.

(a Simmeringer Gschichdldrucka, wi´ra im biachl schdeht )

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